Ein Kleid ist ein Kleid ist ein Kleid und eine Tasche nicht
viel mehr als ein Produkt, dienlich der Aufbewahrung von Gegenständen, die man
mit sich rumträgt, könnte man meinen. Verleiht man dem Kleid aber das Attribut
„kurz“ und noch „schwarz“, wird dem augenblicklich eine andere Bedeutung
beigemessen: es wird nicht nur getragen, weil es Sommer ist, es ist nicht mehr
nur zweckdienliche Kleidung, es hat eine Funktion. Sexy soll es sein,
verführerisch, verrucht. Ein Glas Wein an die roten Lippen geführt,
Aufmerksamkeit erregt - und der Sieg ist uns sicher.
So
kann auch eine Tasche mehr als nur eine Tasche sein: als Symbol der Verbundenheit,
als politische Geste fungierte sie 1995 Bernadette Chirac, die Lady Di eine
Dior-Tasche überreichte, welche zum Klassiker avancierte und sich bis heute
unter dem Namen Lady Dior größter
Beliebtheit erfreut. Mode ist, so zeigt sich, kontextabhängig und kann, in neue
Beziehung gesetzt, mehr als nur Kleidung sein, sie kommuniziert auf
verschiedensten Wegen und lässt Freiraum für Interpretation.
Dass
Mode in Kontextverschiebung auch Kunst sein kann und Kunst Mode, ist in diesem
Zusammenhang offenkundig, doch die Frage ist: wann? Am ehesten wohl dann, wenn
sie ihre Funktionalität abstreift und (fast) untragbar wird, wie bei Alexander
McQueen mit seinen dramatisch-morbiden Tier-Stoff-Metamorphosen oder wenn ihr
konzeptuell jeglicher Bezug zum üblichen Pomp genommen wird wie bei Margiela. Dieser
bemühte sich darum, der Kleidung neue Formen zu verleihen, gleichwohl wie seine
Mode stets einer konsequenten und konzipierten Philosophie folgte und sich
selbst als eine solche konzipierte (nach außen gestülpte Nähte, verhüllte
Modells etc.) offenbarte. Die Nähe zu Konzeptkünstlern wie Marcel Broodthaers
ist hier am meisten spürbar – denn letztlich liegt der Kunst immer ein Gedanke
zu Grunde, fruchtbar wird sie in und durch ihn.
Am
Ende ist ein Designer auch immer ein Künstler: er beherrscht das Handwerk und schöpft
kreativ, er hat das, was wir gemeinhin als „den
Blick“ bezeichnen könnten, wie Tom Ford in der grandiosen Inszenierung
seines Regiedebuts A Single Man
(2011) zeigte. Dass Künstler wiederum aber auch in symbiotische Wechselwirkung
mit Mode treten, zeigt sich an Beispielen wie Cindy Sherman, die stereotypische
Kleidung für ihre Selbstinszenierungen nutzte oder Andy Warhol, der Kleider mit
der Campbell-Aufschrift bedruckte – ein weiteres Postulat zur
Oberflächlichkeit. Ein Statement setzte auch Jana Sterbaks 1987 in Form eines
„Flesh Dress for an Albino Anorectic“, das erst unlängst in ähnlicher Form an
Lady Gaga für Furore sorgte.
„Die
Grenze zwischen einer Kunst, die sich textiler Materialien und modischer
Elemente bedient, um einen primär künstlerischen Prozess in Gang zu setzen, und
einer Mode, die zumindest theoretisch von der Grundidee der Tragbarkeit
ausgeht, ist dabei kaum mehr klar definierbar – Wie überhaupt Kunst und
Nicht-Kunst nicht mehr eindeutig zu trennen sind“, schreibt Gertrud Lehnert und
rekurriert dabei auf den inzwischen verschwimmenden Kunstbegriff – man könnte
fast sagen, alles kann Kunst sein, nichts muss. Zum Zusammenhang von Kunst und
Mode könnte man sagen, die Mode ist der Kunst dann am nächsten, wenn sie sich zweckentfremdet,
die Kunst der Mode aber dann, wenn sie sich der Mode für ihre Zwecke bedient.
Kommen
wir zurück zu der Tasche, die nun mehr als eine Tasche ist, ein Klassiker,
schlicht, für die Lady von Welt. Auch sie schaffte es letztes Jahr ins Museum,
denn ihr zu Ehren ließen sich etliche namhafte Künstler inspirieren („
As seen by“) und gestalteten sie nach
ihren Vorstellungen um. Dabei heraus kamen durchaus ansehnliche, interessante
Exponate: Amorph und deformiert kam die Lady Dior daher bei Peter Macapia, zu
aufbrechendem Eiskristall erstarrte sie bei Olympia Scarry und die Recycle
Group sprengt sie, so scheint es, nagelfömig auf. Namhafte Fotografen nahmen
sich ihrer an, wie Nan Golding oder David Lynch – der sie, wie üblich, in seine
eigene mythische Bildsprache übersetzte – besonders prägnant im Promo-Video
Lady Blue Shanghai mit
Marion Cotillard.
Nun
sind diese „Taschen“, die keine mehr sind, zweifelsohne zweckentfremdet, nicht
mehr zu gebrauchen, oder auf einer Fotografie in kontextverschobenen Inhalt
gebettet und somit nach vorangehender These Kunst. Die Crux daran ist jedoch,
dass dies für Dior paradoxerweise gerade durch die Zweckentlehnung einen Zweck verfolgt: sie wird zu Kunst erhoben. Und
welcher Zweck steht für die Künstler dahinter, außer dem Auftrag? Gerade bei
einem Nonkonformisten wie Lynch ist der Gedanke, er ließe sich von selbst von
einer Dior-Tasche inspirieren, geradezu irreal.
Und,
dennoch: Denken wir einmal zurück in eine Zeit, in der Mode Privileg des Adels
war, Diktat des Hofes. Welche Stellung hatte die Kunst damals? Es handelte sich
meist um Auftragsarbeiten. Die wir heute in den Museen wiederfinden.