Grenzenlose Narrenfreiheit über den Wolken - Fliegende Liebende




Treffen sich eine Jungfrau, die den Tod riechen kann, ein betrügerischer Geschäftsmann, ein feiger Liebhaber, ein Killer, zwei bisexuelle Piloten und eine Domina, sowie drei schwule Stewards an Bord eines Flugzeuges, das aufgrund eines Fahrwerkproblems gezwungen ist, auf unbestimmte Zeit zu kreisen… klingt nach einem Witz, der neue Film von Pedro Almodóvar - und ist auch lustig. Viel mehr auch nicht - und es stellt sich die Frage, ob er es denn sein müsste. Sicher, wer auf dramaturgische Kunstgriffe und einen gewissen Tiefsinn á la Sprich mit ihr oder Die Haut in der ich wohne hofft, erwartet zu viel.

Oder - vielleicht eben gerade nicht zu "viel", sondern eher "das Falsche". Denn möglicherweise steht Fliegende Liebende eben gerade in gewolltem Kontrast zum letzten Film Almodóvars, der für seine Verhältnisse ungewöhnlich düster und klinisch schien. Skurrile Momente durchziehen sein gesamtes Œuvre, ebenso wie die überzogene Melodramatik des Schauspiels und die stetig Mitschwingende Gender-Thematik. Im Kleinen ist das auch hier der Fall - wenn auch nicht so grandios aufgelöst wie andernorts. So verliert der Film sich streckenweise in Absurdität, wenn die Stewards zur Beruhigung der Passagiere eine kleine Revue aufführen, beispielsweise. Oder wenn die Handlung buchstäblich ihren Höhepunkt erreicht und alle Business-Class-Passagiere sediert sind, während die First Class dem Titel des Filmes alle Ehre macht.

So scheint Fliegende Liebende anstatt einer konsequenten Weiterentwicklung seines letzten Filmes ein Zurückkehren zu Almodóvars Anfängen wie Labyrinth der Leidenschaften zu sein ... Eine Verschnaufspause vielleicht? Der Film ist quietschbunt, satirisch, und vor allem "schwul". Und das ist ... vielleicht nicht unbedingt gut so. Aber okay ist es.


Nature's a bitch.


Die Natur ist eine Hure, eine Serienkillerin, in mehr oder minder regelmäßigen Abständen rottet sie aus, was nicht stark genug ist, zu überleben - und macht auch vor dem Menschen nicht Halt, wenn sie ihm Zombies auf den Hals hetzt. Im Genre des Zombiefilms tut sie dies in den letzten Jahren vorzugsweise  als Virus, als Epidemie, wie schon bei Danny Boyles 28 days later und seinem Sequel 28 weeks later von Juan Carlos Fresnadillo. Bei George A. Romeros Night of the Living Dead von 1968, der das Genre begründete und zum Kultfilm avancierte, war der Ursprung der umherwandelnden Menschenfresser noch ungeklärt - in zeitgenössischen Filmen ist es ganz klar: Der Mensch, oder eben wie hier, die Natur selbst. 


Wo Romeros Forsetzung Zombie noch Kritik an Kapitalismus und Gesellschaft war und die Zombies selbst als allegorische, neue Daseinsform verstanden werden konnten, spiegeln Filme wie World War Z mehr als damals eine apokalyptische Urangst vor einer Gefahr, die "aus uns selbst heraus entsteht" wider und können in Zeiten von Globalisierung und Schweinegrippe in die Nähe von Filmen wie Soderberghs Contagion gerückt werden.


Es kommt also wie es kommen muss, die Menschheit steht kurz davor, aufgefressen zu werden, es muss ein Held her - und zwar niemand geringerer als Brad Pitt. Der Familienvater (auch das ist auffällig: Zombiejäger scheinen nie Single, höchstens verwitwet zu sein wie Will Smith in I am Legend) und Ex-UN-Inspektor begibt sich auf die Suche nach dem Ursprung, nach Patient Z, und hetzt dabei von Amerika nach Südkorea nach Jerusalem und zuletzt nach Wales. Actionreich, spannungsgeladen und groß angelegt kommt Marc Fosters Film also daher - dass dementsprechend ein paar Dialoge leiden müssen, erklärt sich irgendwie von selbst und ist ja auch genrekonform. Dass die Juden aus ihrer Geschichte gelernt haben ... und dank Untergrundverbindungen bereits eine Woche vor Ausbruch der Katastrophe und des Chaos im Bilde sind, mag aufstoßen, sollte aber deswegen vielleicht getrost unter den Tisch gefallen lassen werden. Der Dialog erscheint ohnehin nur als Lückenfüller bzw. Vorwand, um grandios zu inszenieren, wie Zombiemassen Jerusalems Mauer erklimmen.

Und wen interessieren schon die Gespräche bei einem Zombiefilm? Schließlich will man mitfiebern, Angst haben, unterhalten werden, Blut spritzen sehen! Und das gelingt World War Z mit ziemlich viel Tempo - ein wenig zu viel gar, mitunter. Der Wermutstropfen bei dieser Geschichte, deren Ende vielleicht doch noch einen kleinen "Shift" im Genre aufzeigt, nämlich: Camouflage statt Bekämpfung, ist die Technik. 3D scheint für diese Art von Hektik und schnellen Schnitten noch nicht bereit.


Playoff


Playoff von Eran Riklis behandelt als deutsch-israelisch-französische Produktion eine gleichwohl „interkulturelle“ Thematik, nur: im Kontext des Jahres 1982, deren junge Generation noch als „Nachkriegsgeneration“, zumindest stärker vom zweiten Weltkrieg betroffen als unsere, bezeichnet werden kann. Der Film ist inspiriert von der Biographie des Basketballtrainers Ralph Klein, der, als Auschwitzüberlebender, nach Israel emigrierte, und dort zum legendären „Mr. Basketball“ wurde, indem er dem Basketballclub Maccabi Tel Aviv zum Europapokal und anderen Siegen verhalf. 1983 wechselte er zum BSC Saturn Köln – wodurch er sich teils mit Verratsvorwürfen auf der einen, mit antisemitischem Entgegenkommen auf der anderen Seite konfrontiert sah.

So auch Max Stoller (großartig: Danny Huston), sein filmisches Pendant in Playoff. Nur um Basketball geht es ihm, um den Sieg, nämlich: Die Mannschaft zur Olympiade führen, so beharrt er –nicht etwa um Vergeltung, Wiedergutmachung, Politik – wenn er von der geifernden Presse belagert wird, die sich mehr für seine Person interessiert, als für den Sport.

In der Tat fallen auch altbekannte wie erwartete Sportfilmklischees und –szenen von Teamgeist, Mut, ebenso wie die Rivalität zwischen Captain und Trainer fast vorgefertigt scheinen – aber eben auch vorhanden zu sein „haben“. Nach und nach verliert sich der Film dennoch, und das muss nun aber nichts schlechtes heißen, wenn auch Stoller selbst innerfilmisch strikt dagegen ist, in Vergangenheitsbewältigung, interkulturell-familiärer Aufdeckung, sowie Verarbeitung.

Dabei gibt er sich aber, insbesondere in der Darstellung des Milieus, Interieurs und Frankfurts Vierteln große Mühe. Nicht selten schmunzelt man beim Wiedererkennen einer alten Wählscheibe oder über andere im Hintergrund eingewobene Details der frühen 80er Jahre. Es sollte nur den Basketballfans klar sein, dass es sich hierbei nicht um einen puren Basketballfilm handelt, sondern vielmehr um einen sensiblen Film, der vor allem eine israelische Persönlichkeit zwischen den Kulturen nachzeichnen möchte – ein Zeitzeugnis, sozusagen.

The Great Gatsby


© Warner Bros. 


Eine Literaturverfilmung ist wohl mitunter eine der größten Herausforderungen, an die sich Regisseure wagen können. Welche Szenen werden übernommen, was wird wie gezeigt – wie am besten Sprache in Filmsprache übersetzen, ohne das etwas verloren geht und der Fantasie des Lesers mit Sensibilität begegnet wird? Mit der Frage nach der richtigen Adaption von Literatur setzte sich schon Truffaut im Kontext der Nouvelle Vague auseinander. Seine Folgerung 1953 war jene, dass es nicht drehbare Szenen nicht gäbe. Seine und vor allem Godards Forderung in Rückbezug auf Astruc hingegen: Ein Filmemacher sollte, einem Autor gleich, mit der Kamera schreiben wie mit einem Füllfederhalter – Filme sollten immer auch eine persönliche Note beinhalten.

Genau diese gelungene Mischung aus Idiosynkrasie und Vorlagentreue gelingt Baz Luhrman mit The Great Gatsby. Mit relativ wenigen Auslassungen hält er sich sehr nahe an den zum Klassiker avancierten Stoff Fitzgeralds und schafft es doch, den sprachlichen Mehrwert des Romans in seine eigene Filmsprache zu überführen: Kamerafahrten und Zooms des Paris aus Moulin Rouge werden zu eben solchen bestechenden über New York, mit Liebe fürs Detail strotzt die Szenerie vor Prunk und Pomp und Kostüm, Emotionalität und Nahaufnahmen treffen auf übertriebene Momente fast bis hin zur Farce – man denke an die karnevalesken Einlagen in Moulin Rouge ebenso wie in Romeo and Juliet, mit Mickey-Mousing-Effekten, teils schon an der Grenze zum comichaften.

Werden hier schon fast zu viel, schrappen knapp an Klamauk vorbei, um sich wieder zu fangen und sich, wie im Buch, zu konzentrieren – auf ein Lächeln, beispielsweise. „Ein Lächeln, das einem für alle Ewigkeit Mut zusprach. Es nahm – so schien es wenigstens – für einen Moment die gesamte äußere Welt in den Blick und konzentrierte sich dann mit unwiderstehlicher Voreingenommenheit ganz und gar auf einen selbst. Es verstand einen gerade so weit, wie man verstanden werden wollte, glaubte an einen, wie man selbst gerne an sich geglaubt hätte, und versicherte einem, dass es exakt den Eindruck hatte, den man im besten Fall zu vermitteln hoffte.“

Und spätestens an dieser Stelle übernimmt in erster Linie Leonardo DiCaprio das showing, das, gegenüber des tellings eines Romans, nur der Film kann: Gatsby wird nicht beschrieben. DiCaprio ist Gatsby. Schwankend zwischen Angespanntheit und Lockerheit, Sein und Schein, mimt er grandios den Mann, oder die Illusion eines Mannes, hinter dessen Fassade es zu brodeln scheint.

Das telling, die Erzählweise als solche, wird im Film in der Perspektive zwar beibehalten – im Roman bediente sich Fitzgerald des Kunstgriffes, einen Dritten berichten zu lassen, womit Gatsby einmal mehr entrückt – wird jedoch unnötig mit einer Rahmenhandlung versehen.  Truffaut sprach in diesem Zusammenhang von Äquivalenzverfahren, von, in schlimmsten Fall „schüchternen Einfällen“ der Drehbuchautoren (damals: Aurenche und Bost), um durch Hinzudichtung Schwierigkeiten in der Adaption zu umgehen. Solche Stellen finden sich, wie auch an einer Schlüsselszene des Buches, in der Gatsby seine Hemden aus dem Schrank herausreißt und um sich wirft, durchaus – doch sind sie zweifelsohne dazu gedacht, dem Zuschauer ein Geleit zu geben, quasi plakativ zu zeigen, was im Buch zwischen den Zeilen steht: ein grünes Licht wird zum Sinnbild des (amerikanischen) Traumes, der Illusion, der Verwirklichung.

So wird die Schrift im Film zu Bild, Buchstaben des Werkes rieseln selbst wie Schneeflocken über liebevoll oder opulent komponierte Filmbilder, ein Medium geht in ein anderes über .... Und nicht zuletzt auch durch das Schauspiel, die theatrale Luhrmansche Inzsenierung, die den Figuren Fitzgeralds eine neue Facette abzuringen scheint, wird aus dem Roman ein irgendwie neues, selbstständiges, aber dennoch adäquates Werk eines auteurs.

Passiv aktiv


Du kannst ihm nicht entrinnen, heißt es. Es verfolgt dich, denkt man bisweilen. Es gibt es nicht, hört man hier und da, und schwankt zwischen Glauben und Vertrauen und dem Gegenteil. Um sich dann wieder volle Breitseite davon überrollen zu lassen, so dass es  einen direkt ver-schickt: Das Schicksal. Leise schicksalt es so vor sich hin und schickt dich von A nach B, Buchstaben scheinen in tieferem Zusammenhang zu stehen, unsere How I met your Father- und -Mother Stories entblättern sich retrospektive vor uns, mitunter meint man zu spüren: Eines führt zum Anderen, nichts geschieht umsonst.

Lassen uns von ihm leiten, nehmen es in und an die Hand, ergeben uns ihm, trotzen. Oszillieren zwischen aktiver Passivität und passivem Aktivismus, folgen dem was wir meinen Bestimmung zu nennen, bis eben alles anders kommt, wenn man denkt. Flowen, interruptieren, halten den Atem an, atmen aus. Setzen Punkte und ziehen Striche. Beginnen mehrfach von Null an, auf Geschehenem aufzubauen.

Fordern es heraus, lernbegierig, wie wir sind. Lachen und zittern ihm entgegen, unermüdlich schöpfen wir Willen aus Stärke, trainieren uns zu Jedirittern und Samurai, rappeln uns von tiefen Tälern hoch hinaus. Danken ihm für Schläge, verlangen mit blutenden Nasen nach mehr, flüchten nach vorn, denn hinten, da waren wir schon – Neujustierung mit jeder Lektion. Mit jedem sich schließenden Kreis erklimmen wir eine Stufe im hermeneutischen Zirkel, lassen Menschen und Ereignisse hinter uns, schütteln eben noch frische Polaroids, bis sie beginnen zu verblassen.

Lecken Wunden und lecken Blut, lebenshungrig dürsten wir nach Vollkommenheit und wissen dabei doch, dass diese immer nur in oder aus einem Moment bestehen kann. Reihen Momente aneinander, machen Süßes aus Saurem, komplementieren und substitutionieren, eingekeilt in Widersprüche spüren wir uns bis hin zur Gefühlslosigkeit, lassen uns treiben, machen weiter. Setzen unsere Geschichte fort, blättern um, schreiben uns selbst in sie ein. Stolpern von Seite zu Seite, straucheln, finden Halt, klammern uns fest, lassen wieder los. Um am Ende vielleicht doch lächelnd sagen zu können: Genau so musste es sein.

Wenn Worte meine Sprache wären



Manchmal würde ich Worte gerne festhalten können, während sie so durch die Luft schwirren, dich soeben verlassen haben, mich vielleicht noch nicht ganz erreicht, aus deinen Gedanken externalisiert wie ein Voice Over eines Erzählers eines Filmes, der von Momentaufnahmen handelt. Er erzählt von lautlos berauschten Momenten stiller Gedanken, der unausgesprochenen Sehnsüchte, der Begierde, von Zuneigung 
gar, irgendwo zwischen den Zeilen. Von unbewusst angedeuteten Versprechungen, stets unter dem Deckmantel der Unverbindlichkeit und Privatheit.

Jeden der im virtuellen Raum rumschwebenden Buchstaben möchte ich einzeln greifen und unter meinem Kopfkissen verstauen, um sie herausholen und anfassen und herumdrehen und begreifen zu können, wenn ich das Gefühl habe, sie entgleiten mir. Möchte jedes Wort genau abwägen können, haptisch, sensuell, sie ordnen, um Fehlinterpretationen und Buchstabensuppe zu vermeiden. Möchte sie ihrem geschriebenen Status entreißen, sie real werden lassen, mir deuten lassen, was das Wort „Bedeutung“ eigentlich für eine Bedeutung hat.

Dann würde ich ihnen zuhören, was genau sie eigentlich zu sagen haben, sie fragen, ob sie nicht eigentlich etwas anderes meinen – und warum sie gewisse Dinge nur spät Nachts auszusprechen wagen, von Rechtschreibfehlern durchsetzt. Oder warum sie dann wieder ausbleiben. Würde einige von ihnen kräftig durchrütteln, andere eng an mich drücken, sie zwingen mich anzusehen und zu fühlen, was ihnen in ihrer schlichten Existenz möglicherweise entgeht.  Ihnen zeigen, wie wertvoll sie sind, ihre Existenzangst nehmen, die Tür öffnen zu einem Wunderland, in dem sie nicht nur Schall und Rauch einer rauchenden Raupe sind.

Wir würden uns aneinandergeklammert gegenseitig versichern, dass sie nicht nur Zusammenschluss semiotischer Zeichen sind oder Teile von Syntax, sondern Wahrheit. Uns würde klar, dass das Medium die Botschaft ist, und Kommunikation wäre nicht zu komplex. In einer Black Box säßen wir dann und würden kichern über vorherige Missverständnisse und –deutungen, würden uns endlich zu fassen kriegen. Bis uns dann auffiele, was wir übersehen hatten: Ein kleines Wörtchen. Vier Buchstaben. „Wenn.“

The Good Fellas are back!


Jüngst feiern die Gangster, die Auftragskiller, diese so irgendwie „coolen“ Männer, die das Morden zum Beruf gemacht haben, wieder ein Comeback in den Kinos. Aktuell im Kino zu sehen ist Ruben Fleischers Gangster Squad, am 2.5.2013 startet The Iceman von Ariel Vromen.
Zweiterer handelt von Richard Kulinski, dem „Iceman“, der für New Yorker Gangsterbosse die Drecksarbeit erledigt – eiskalt ist er, emotionslos tötet er Menschen – und noch dazu ist/war er real. 1986 wurde Kulinski wegen Mordes an 100 Menschen verurteilt. Neben seinem Job hatte er aber, und hier wird die Parallele zu Gangstern wie Henry Hill aus Good Fellas  spürbar, ein stabiles Familienleben, eine Frau, (Winona Ryder), zwei Töchter, in deren Augen er das Haus schlicht zur Arbeit verließ und wieder kam. Bis Polizisten sein Haus umstellten und er sich, eindringlich gespielt von Michael Shannon, in Haft wiederfindet, doch: um Vergebung möchte er gar nicht bitten.
Im Gegensatz zu Good Fellas, dessen Hauptdarsteller Ray Liotta hier den Boss geben darf, der er bei Scorsese aufgrund seiner halbitalienischen Wurzeln nicht sein durfte, wird der Job als solcher noch stärker ausgespielt, denn: Auftragskiller können auch gekündigt werden. Haben eine Familie zu versorgen, müssen schauen, bei wem sie dann anheuern können. Während in Good Fellas stark die Nebensächlichkeit des Mordens herausgestellt wurde, mit Kochen parallelisiert, fast schon ironisch inszeniert wurde mittels Musik (wie auch später in Bezug hierauf in Tarantinos Reservoir Dogs), ist das Morden bei Vromen cold as ice, als Broterwerb unerlässlich. Die Darstellung ist, obwohl beide Filme auf wahren Begebenheiten beruhen, wesentlich weniger distanziert und realistischer, und vor allem: nicht wertend.
Auf wahrer Begebenheit fußt auch der aktuellen Gangster Squad: Wie einst Good Fellas ist auch dieser Film ganz den Genrekonventionen verschrieben, die Gangster sehen in ihren Anzügen verdammt gut aus, die Schießereien sind ästhetisiert und in Slow-Motion – was, gerade in Hinblick auf Scorsese oder Tarantino nun wahrlich nichts schlechtes bedeuten muss. Mimisch absolut auf den Punkt und grandios fügt sich auch Sean Penn in seiner Rolle als Mickey Cohen, der vom Squad rund um Publikumsliebling Ryan Gosling alias Sgt. Jerry Wooters gejagt wird. Doch das vielversprechende Geballer durch die Leinwand im Trailer  verspricht einen Deut zu viel: Action, Ästhetik, Kostüm, Penn – helfen am Ende leider nicht darüber hinweg, dass der Film sich letztlich selbst zu ernst nimmt und verklingt in pathetisch-amerikanischem „eure Polizisten sind jeden Tag für euch auf der Straße“- Gedöhns.  Schön anzusehen ist das ja, doch wo The Iceman  und Goodfellas in Zelebration und Schilderung von Gangster-(Kunst-) Figuren das Noir-Genre hochhalten, die hässlichen Seiten zeigen, wird es bei Gangster Squad am Ende fast zur Farce, zur reinen Performanz seiner selbst, zum hohlen Pathos. 

Von Taschen und Kunst


Ein Kleid ist ein Kleid ist ein Kleid und eine Tasche nicht viel mehr als ein Produkt, dienlich der Aufbewahrung von Gegenständen, die man mit sich rumträgt, könnte man meinen. Verleiht man dem Kleid aber das Attribut „kurz“ und noch „schwarz“, wird dem augenblicklich eine andere Bedeutung beigemessen: es wird nicht nur getragen, weil es Sommer ist, es ist nicht mehr nur zweckdienliche Kleidung, es hat eine Funktion. Sexy soll es sein, verführerisch, verrucht. Ein Glas Wein an die roten Lippen geführt, Aufmerksamkeit erregt - und der Sieg ist uns sicher. 

So kann auch eine Tasche mehr als nur eine Tasche sein: als Symbol der Verbundenheit, als politische Geste fungierte sie 1995 Bernadette Chirac, die Lady Di eine Dior-Tasche überreichte, welche zum Klassiker avancierte und sich bis heute unter dem Namen Lady Dior größter Beliebtheit erfreut. Mode ist, so zeigt sich, kontextabhängig und kann, in neue Beziehung gesetzt, mehr als nur Kleidung sein, sie kommuniziert auf verschiedensten Wegen und lässt Freiraum für Interpretation.
Dass Mode in Kontextverschiebung auch Kunst sein kann und Kunst Mode, ist in diesem Zusammenhang offenkundig, doch die Frage ist: wann? Am ehesten wohl dann, wenn sie ihre Funktionalität abstreift und (fast) untragbar wird, wie bei Alexander McQueen mit seinen dramatisch-morbiden Tier-Stoff-Metamorphosen oder wenn ihr konzeptuell jeglicher Bezug zum üblichen Pomp genommen wird wie bei Margiela. Dieser bemühte sich darum, der Kleidung neue Formen zu verleihen, gleichwohl wie seine Mode stets einer konsequenten und konzipierten Philosophie folgte und sich selbst als eine solche konzipierte (nach außen gestülpte Nähte, verhüllte Modells etc.) offenbarte. Die Nähe zu Konzeptkünstlern wie Marcel Broodthaers ist hier am meisten spürbar – denn letztlich liegt der Kunst immer ein Gedanke zu Grunde, fruchtbar wird sie in und durch ihn.

Am Ende ist ein Designer auch immer ein Künstler: er beherrscht das Handwerk und schöpft kreativ, er hat das, was wir gemeinhin als „den Blick“ bezeichnen könnten, wie Tom Ford in der grandiosen Inszenierung seines Regiedebuts A Single Man (2011) zeigte. Dass Künstler wiederum aber auch in symbiotische Wechselwirkung mit Mode treten, zeigt sich an Beispielen wie Cindy Sherman, die stereotypische Kleidung für ihre Selbstinszenierungen nutzte oder Andy Warhol, der Kleider mit der Campbell-Aufschrift bedruckte – ein weiteres Postulat zur Oberflächlichkeit. Ein Statement setzte auch Jana Sterbaks 1987 in Form eines „Flesh Dress for an Albino Anorectic“, das erst unlängst in ähnlicher Form an Lady Gaga für Furore sorgte.
„Die Grenze zwischen einer Kunst, die sich textiler Materialien und modischer Elemente bedient, um einen primär künstlerischen Prozess in Gang zu setzen, und einer Mode, die zumindest theoretisch von der Grundidee der Tragbarkeit ausgeht, ist dabei kaum mehr klar definierbar – Wie überhaupt Kunst und Nicht-Kunst nicht mehr eindeutig zu trennen sind“, schreibt Gertrud Lehnert und rekurriert dabei auf den inzwischen verschwimmenden Kunstbegriff – man könnte fast sagen, alles kann Kunst sein, nichts muss. Zum Zusammenhang von Kunst und Mode könnte man sagen, die Mode ist der Kunst dann am nächsten, wenn sie sich zweckentfremdet, die Kunst der Mode aber dann, wenn sie sich der Mode für ihre Zwecke bedient.

Kommen wir zurück zu der Tasche, die nun mehr als eine Tasche ist, ein Klassiker, schlicht, für die Lady von Welt. Auch sie schaffte es letztes Jahr ins Museum, denn ihr zu Ehren ließen sich etliche namhafte Künstler inspirieren („As seen by“) und gestalteten sie nach ihren Vorstellungen um. Dabei heraus kamen durchaus ansehnliche, interessante Exponate: Amorph und deformiert kam die Lady Dior daher bei Peter Macapia, zu aufbrechendem Eiskristall erstarrte sie bei Olympia Scarry und die Recycle Group sprengt sie, so scheint es, nagelfömig auf. Namhafte Fotografen nahmen sich ihrer an, wie Nan Golding oder David Lynch – der sie, wie üblich, in seine eigene mythische Bildsprache übersetzte – besonders prägnant im Promo-Video Lady Blue Shanghai mit Marion Cotillard.

Nun sind diese „Taschen“, die keine mehr sind, zweifelsohne zweckentfremdet, nicht mehr zu gebrauchen, oder auf einer Fotografie in kontextverschobenen Inhalt gebettet und somit nach vorangehender These Kunst. Die Crux daran ist jedoch, dass dies für Dior paradoxerweise gerade durch die Zweckentlehnung einen Zweck verfolgt: sie wird zu Kunst erhoben. Und welcher Zweck steht für die Künstler dahinter, außer dem Auftrag? Gerade bei einem Nonkonformisten wie Lynch ist der Gedanke, er ließe sich von selbst von einer Dior-Tasche inspirieren, geradezu irreal.
Und, dennoch: Denken wir einmal zurück in eine Zeit, in der Mode Privileg des Adels war, Diktat des Hofes. Welche Stellung hatte die Kunst damals? Es handelte sich meist um Auftragsarbeiten. Die wir heute in den Museen wiederfinden.