Ich reise allein


... und in meinen Koffer packe ich ein Quäntchen About a boy, auch ein wenig  Juno – und dementsprechend vor allen Dingen eine Menge Sarkasmus der feinsten und trockensten Art.

© Neue Visionen Filmverleih
Betrunkene und Kinder sagen die Wahrheit. Was passiert, wenn ein ziemlich oft betrunkener Student und seine siebenjährige Tochter, von der er bis dato nichts wusste,  für eine Woche zusammentreffen? Ziemlich gute Dialoge, sollte man meinen – und im Fall von Ich reise allein eine etwas andere Coming of Age – Geschichte, erzählt mit viel Witz und Herz.

Nun könnte man ansetzen mit Zufallstheorien, Soziologie, bestimmt auch mit Freud oder Kant. Wäre man durch den Film, und die selbstreflexive Methodik bleibt leider nie aus, nicht auf ironische Weise daran erinnert worden, dass nicht immer alles philosophisch kontextualisiert werden muss. Der Film selbst greift dieses auf – und das ist ja das schöne an Doppelcodierung – man muss nicht wissen, wer Derrida ist, um über kleine Seitenhiebe an vergeistigte, aber ebenso weltfremde Studenten lachen zu können.

Und letztlich geht es dann eigentlich doch um Zufall-Determinismus und darum, wie schnell sich Dinge ändern können, wie etwas aus der Vergangenheit in die Gegenwart treten kann und vielleicht auch dazu bestimmt ist zu bleiben. Womit wir wieder bei dem Motiv wären, das in About a boy schon aufgegriffen wurde: Kein Mensch ist eine Insel.  Ein Schild mit der Aufschrift „Ich reise allein“ hängt um Charlotte-Isabels Hals, als sie am Flughafen ankommt. „Reisen wir nicht alle alleine?“ wirft ein Freund von Neuland-Papa Jarle ein ... und der Film selbst vermag, darauf Antwort zu geben.

Die Crux mit der Schönheit


© Marcus Schäfer, www.marcusschaefer.com / www.artpioneers.de


Begrifflichkeiten unterliegen dem Wandel der Zeit. Sei es nun Männlichkeit, Weiblichkeit, Freiheit, Moral, Obszönität, oder eben auch: Schönheit. Ob gehüllt in Seide nach Milchbad zu Kleopatras Zeiten, robust und mollig zu Rubens, oder dürr und grunge zu Moss’s – Schönheit ist immer Frage des Zeitgeists, des Trends, eines aktuellen Konsens und liegt nicht zuletzt: im Auge des Betrachters. So weit, so gut, und so weit ist das nichts Neues. Auch, das mit Aufkommen der Massenmedien Bilder von Schönheit uns gleichwohl vorgegaukelt wie diktiert werden, dürfte mittlerweile im Bewusstsein angelangt sein. Dass Medien weiterhin auch beeinflussen, ist unumgänglich: Täglich werden wir konfrontiert damit, wie wir bestenfalls auszusehen hätten und versuchen dem nach Möglichkeit mit einer Portion von Individualismus nachzukommen.

Dass auch selbige Beeinflussung persönlichkeitsabhängig ist, liegt auf der Hand. Denn keiner muss, wenn er nicht will. Nur wegsehen, das geht leider eben nicht, selbst wenn man möchte. Denn von jedem Hochglanzmagazin, an jeder Ecke, strahlt uns ein Gesicht an mit dem Versprechen, mit Produkt x dem strahlenden Gesicht, dem Traum vom Ideal, näher kommen zu können. Zu glauben, jenes Gesicht wäre dabei natürlich belassen so schön, wäre naiv, und auch das weiß der Betrachter. Im Normalfall, und natürlich bestätigen Ausnahmen die Regel.

Fassen wir soweit einmal zusammen: es existiert auch in unserer Zeit ein allgemeiner Konsens darüber, was schön ist und was nicht, und dieses Ideal einer konstruierten Schönheit strahlt uns in bearbeiteter Form täglich entgegen. Und wenn wir ehrlich sind, wollen wir es doch gar nicht anders!

Und selbst wenn Kampagnen wie Dove ausnahmsweise keine perfekten Körper zeigen ... finden wir das sympathisch, ja, das ist mal was anderes, da sehen wir Menschen die normal sind, wie Du und ich! Aber würden wir überall dicke, asymmetrische, kleine Menschen sehen wollen? Wohl eher kaum. Denn Tatsache ist doch, dass wir beim Betrachten einer Reklame nur allzu gerne das entgegennehmen, was uns da präsentiert wird. Und dem  unter Vorbehalt auch glauben, glauben wollen – ohne Überzeichnung des Produkts würde Werbung als solche ihre Sinnhaftigkeit verlieren. Schon auf Marktplätzen im alten Rom pries jeder Händler seine Ware als die beste an. Das ist Strategie und gutes Recht der Werbung, wenn auch kein Garant, und der Käufer weiß das. Punkt ist, ein Stück weit wird nichts anderes erwartet, man möchte hinters Licht (oder hinter schöne Fassaden) geführt werden – Darstellung von Perfektion ist Stilmittel der Medien und sollte vom kritischen Betrachter auch als solches empfunden werden, ebenso wie die Versprechen, die damit einhergehen und wahrscheinlich nicht eingelöst werden.

Dennoch ist, wie auch anhand von Dove schon gezeigt, ein gegenläufiger Trend bemerkbar: So wurde eine Kampagne angehalten, bei der Julia Roberts als „zu retuschiert“ befunden wurde. Form follows function ist ein Begriff, den Louis Sullivan bezüglich der Architektur prägte. Im Regelfall gilt für die Werbung, dass geschönt und idealisiert werden darf und sogar soll, denn von ihr wird ja erwartet, das Idealbild zu verkörpern. Hier wurde über das Ziel hinausgeschossen – ein Produkt, das für Natürlichkeit steht, sollte auch mit Natürlichkeit beworben werden, und nicht mit offensichtlich künstlicher Makellosigkeit. Scheinbar befinden wir uns an einem Punkt, an dem gefordert wird, Grenzen zu definieren. Wie viel darf und wie viel soll retuschiert werden? An welchem Punkt kippt die Werbeästhetik, welche wir als solche annehmen, ins Übertriebene? Und wäre es vielleicht tatsächlich an der Zeit, eine „lebensnähere“ Ästhetik in der Werbung einzuführen?
Die Frage die dahinter aber vor allem steht ist, ob es überhaupt möglich ist, dem gegenzusteuern. Denn wie schon festgestellt, haben wir uns bereits lange auf einen Konsens geeinigt, und Werbung ist nun einmal das, was sie ist. Den Gedanken weitergesponnen – wer würde sich für eine solche Grenzsetzung verantwortlich zeichnen? Muss etwa eine Instanz eingeführt werden, die filtert, welche Werbung natürlich genug ist und welche nicht? Und gerieten wir damit in die Nähe der Zensur? Wenn man Werbung ein Stückweit auffasst als Kunstprodukt – wäre dies dann Einschränkung der künstlerischen Freiheit?

Literarische oder künstlerische Strömungen und Entwicklungen betrachtend, erfolgt immer Wende nach Kulmination. Möglicherweise zeigt also der Fall Roberts, ungeachtet dieser Fragen, den langsamen Eintritt einer solchen Wende auf. Es gilt nicht, Antwort auf eben aufgeworfene Fragen zu geben, ein Definieren von Grenzen ist nicht möglich, denn diese verschwimmen ständig und unterliegen dem Diskurs – erst die Zeit wird Antworten finden oder andere Darstellungsmöglichkeiten aufbringen. Etwas, das seit Jahrzehnten so gefestigt ist, kann nicht von heute auf morgen einem Paradigmenwechsel unterworfen werden. Werbung ist oberflächlich und hat keinen Anspruch auf Authentizität – möglicherweise sind wir aber gerade dabei, unsere Haltung demgegenüber zu ändern. Ob diese ersten gegenläufigen Ansätze etwas bewirken und schleichend die Medien im Gesamten revolutionieren, bleibt zu bezweifeln. Aber vielleicht ist in diesen Ansätzen eine erste Grenzverschiebung bemerkbar und möglicherweise liegt die nähre Zukunft in Koexistenz beider Tendenzen. 

Israel beispielsweise beschloss nun als erstes Land per Gesetz, dass retuschierte Kampagnen als solche kenntlich gemacht werden müssen. Aber müssen sie das wirklich? Letztlich ist doch wichtig dass, auf Seiten des Betrachters, weiterhin eine kritische Haltung eingenommen werden sollte, egal wie etwas dargestellt wird. Mit McLuhan: „The medium is the message.“ Es geht nicht um den Inhalt des Dargestellten, sondern um das Medium selbst. Werbung soll stimulieren, uns und unsere Sinne ansprechen – wie im "überarbeiteten" Sinn McLuhans, the medium is the massage. Dem gilt es bewusst gegenüber zu stehen, und es in erster Linie für sich selbst zu definieren, wie weit man sich auf das lächelnde Gesicht einlassen möchte – und eben auch zu wissen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Manchmal ist es einfach nur Photoshop.


Das entwurzelte Individuum in der nächtlichen Großstadt

Gestern wagte ich mich zu etwas ganz Neuem, für mich selten dagewesen, einem Selbstexperiment, das eine ungeheuer große Menge an Mut erfordert: Ich ging alleine in den Club. Nachdem Ostern ist und alle Menschen entweder zuhause sind und Eier suchen, die Verbliebenen schlichtweg selbst Weicheier sind, dachte ich mir, ich gehe mir jetzt einfach mal neue Freunde suchen! So wirklich fündig wurde ich nicht. Gelohnt hat es sich trotzdem! Wenn auch die Ausbeute sich nur auf einen Tequila belief. Leider ist die Männerwelt nicht mehr so spendabel wie früher, aber Recht hat sie, denn ich will nur euren Alkohol. Harrharr.

Nach einigen Gläschen Prosecco traute ich mich also, im neuen Lieblingsteil, Wohlfühlen ist hier schließlich oberste Priorität!, hinter meinen Büchern hervor, um dann, nun ja, Rush Hour, meine Facebook-Nachrichten bestätigen es: exakt 37 Minuten anzustehen. Das Ergebnis deckte sich mit meinem Plan aber nur zu gut, denn wenn der Laden brennt, kann man locker lässig mit seinem Drink an der Wand lehnen, ein bisschen zum Beat (exquisit!) nicken, und sich vor allem höchst unauffällig verhalten. Der Plan war, sollte ich angesprochen werden, im Vorfeld exaktestens ausgearbeitet: Anfangs sage ich, ich warte noch auf jemanden. Später, ich habe meine Leute verloren – und am Ende sind sie eben schon weg. Als ich dann tatsächlich gefragt wurde, hielt ich mich an nichts von dem und sagte einmal „Ich verschaffe mir Überblick“, ein anderes Mal „Ich konzipiere!“ und denke, das hinterließ auch den viel besseren Eindruck, wenn ich darauf auch nicht wirklich aus war.

Überblick verschaffte ich mir aber wirklich. Ich liebe es ja, Menschen zu beobachten, so als außenstehende. Die gestern wollten wohl gern einem MTV-Videoclip entsprungen sein, sie bemühten sich redlich, und in ihrer Wahrnehmung war dem sicher auch so. Das Grinsen, das sie mir aufs Gesicht zauberten, spätestens als ich ein dickes Mädchen beim Balztanz beobachtete, allerspätestens aber, als ein anderes ihren eigenen iPhone-Code drei mal falsch eingab, muss dann sehr einladend gewirkt haben. Denn lässig wie ich so an der Wand stand und an meinem Drink nippte, blieb ich natürlich nicht lang allein!

Zuerst war da Philipp. Philipp hatte irgendwas mit Industriedesign studiert und ist jetzt Praktikant - für 400 Euro. Er hat einen Abschluss!! Wir kamen allerdings nicht zu weiteren Ausführungen einer Diskussion über unfaire Bezahlung von Akademikern, da auf einmal drei seiner Freundinnen beim Rauchen zwischen uns standen, ich fand das nicht besonders schlimm, und kaum dass sie mich verdeckten und ich eine fast mit meiner Zigarette angezündet hatte, ging ich. Überhaupt war mein Abend geprägt von polnischen Abgängen, das vermittelt mir immer so ein Gefühl absoluter Freiheit und Unabhängigkeit, denn Scheiß auf alle, ich führ mich heute selber aus!

An der nächsten Wand war dann da ein Thomas, der ein unheimlich tolles Lachen hatte und auch sonst den Schalk im Nacken, und ich stand auf seinen HipHopper-Style, nur mit 30 finde ich ist man da eigentlich langsam rausgewachsen - da er aber 1,60 groß war, war das nicht weiter tragisch. Ich ging eine rauchen und ward nie wieder gesehen, sein ständiges Gestupse und dass er immer von meinem Bier trinken wollte, fand ich auch irgendwie infantil.

Als nächstes lernte ich einen wirklich großgewachsenen, wie sagt man politisch korrekt, Afro-Deutschen?! Kennen, der hieß Lul, und ich so: LOL??? „Wir haben beide außergewöhnliche Namen, also schon mal was gemeinsam!“ meinte Lul und gab sich auch sonst sehr charmant, war leider nur nicht mein Typ, und außerdem wurden wir während dem Gespräch jäh unterbrochen von einem komischen Milchgesicht, das meinte es sei Millionär (ich tippe auf BWL-Student) und würd gern mit mir essen gehen, ein Bier springen lassen wollte es allerdings nicht. Dafür kam es mir später zu Hilfe, als Tequila-Boy und Berliner Sprayer (Akademie) Künstler Konrad dachte, sein Tequila würde mich dazu bringen, zu seinen Eltern nach Hause mit zu kommen, die haben nämlich ein Schwimmbad. Auf mein entsetztes "Ich will doch nicht in dein Schwimmbad Alter!!!" bemerkte er schlicht, ich könne ja auch mitkommen dann eben ohne Schwimmbad, und tanzte weiter vor mir her. Um ihm zu entgehen, versteckte ich mich auf dem Klo und rauchte mit einem Mädchen heimlich, schade dass sie dann gehen musste, sie wäre Anwärterin auf neue Freundin Nummer Eins gewesen. Mädchen aus Wien, wenn du das liest, melde dich bitte!

Da die Zigarette meine letzte war und unversehens auf einmal halb sechs Uhr morgens und an der Wand lehnen, so schien es mir, nicht mehr ganz so cool und lässig aussah, sondern wahrscheinlich eher verzweifelt, beschloss ich zu gehen, ehe jemand meinen beobachtenden schelmischen Blick missdeuten könnte. So tänzelte ich, beschwipst bestärkt um eine Erfahrung bereichert mit Kopfhörern im Ohr in die Morgendämmerung nach Hause und tyrannisierte Freunde, die nicht dabei gewesen waren via Sms. Denn, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, am andern Ende der Leitung ist immer jemand wach – und allein bist du nur, wenn du dich so fühlst.