Das entwurzelte Individuum in der nächtlichen Großstadt

Gestern wagte ich mich zu etwas ganz Neuem, für mich selten dagewesen, einem Selbstexperiment, das eine ungeheuer große Menge an Mut erfordert: Ich ging alleine in den Club. Nachdem Ostern ist und alle Menschen entweder zuhause sind und Eier suchen, die Verbliebenen schlichtweg selbst Weicheier sind, dachte ich mir, ich gehe mir jetzt einfach mal neue Freunde suchen! So wirklich fündig wurde ich nicht. Gelohnt hat es sich trotzdem! Wenn auch die Ausbeute sich nur auf einen Tequila belief. Leider ist die Männerwelt nicht mehr so spendabel wie früher, aber Recht hat sie, denn ich will nur euren Alkohol. Harrharr.

Nach einigen Gläschen Prosecco traute ich mich also, im neuen Lieblingsteil, Wohlfühlen ist hier schließlich oberste Priorität!, hinter meinen Büchern hervor, um dann, nun ja, Rush Hour, meine Facebook-Nachrichten bestätigen es: exakt 37 Minuten anzustehen. Das Ergebnis deckte sich mit meinem Plan aber nur zu gut, denn wenn der Laden brennt, kann man locker lässig mit seinem Drink an der Wand lehnen, ein bisschen zum Beat (exquisit!) nicken, und sich vor allem höchst unauffällig verhalten. Der Plan war, sollte ich angesprochen werden, im Vorfeld exaktestens ausgearbeitet: Anfangs sage ich, ich warte noch auf jemanden. Später, ich habe meine Leute verloren – und am Ende sind sie eben schon weg. Als ich dann tatsächlich gefragt wurde, hielt ich mich an nichts von dem und sagte einmal „Ich verschaffe mir Überblick“, ein anderes Mal „Ich konzipiere!“ und denke, das hinterließ auch den viel besseren Eindruck, wenn ich darauf auch nicht wirklich aus war.

Überblick verschaffte ich mir aber wirklich. Ich liebe es ja, Menschen zu beobachten, so als außenstehende. Die gestern wollten wohl gern einem MTV-Videoclip entsprungen sein, sie bemühten sich redlich, und in ihrer Wahrnehmung war dem sicher auch so. Das Grinsen, das sie mir aufs Gesicht zauberten, spätestens als ich ein dickes Mädchen beim Balztanz beobachtete, allerspätestens aber, als ein anderes ihren eigenen iPhone-Code drei mal falsch eingab, muss dann sehr einladend gewirkt haben. Denn lässig wie ich so an der Wand stand und an meinem Drink nippte, blieb ich natürlich nicht lang allein!

Zuerst war da Philipp. Philipp hatte irgendwas mit Industriedesign studiert und ist jetzt Praktikant - für 400 Euro. Er hat einen Abschluss!! Wir kamen allerdings nicht zu weiteren Ausführungen einer Diskussion über unfaire Bezahlung von Akademikern, da auf einmal drei seiner Freundinnen beim Rauchen zwischen uns standen, ich fand das nicht besonders schlimm, und kaum dass sie mich verdeckten und ich eine fast mit meiner Zigarette angezündet hatte, ging ich. Überhaupt war mein Abend geprägt von polnischen Abgängen, das vermittelt mir immer so ein Gefühl absoluter Freiheit und Unabhängigkeit, denn Scheiß auf alle, ich führ mich heute selber aus!

An der nächsten Wand war dann da ein Thomas, der ein unheimlich tolles Lachen hatte und auch sonst den Schalk im Nacken, und ich stand auf seinen HipHopper-Style, nur mit 30 finde ich ist man da eigentlich langsam rausgewachsen - da er aber 1,60 groß war, war das nicht weiter tragisch. Ich ging eine rauchen und ward nie wieder gesehen, sein ständiges Gestupse und dass er immer von meinem Bier trinken wollte, fand ich auch irgendwie infantil.

Als nächstes lernte ich einen wirklich großgewachsenen, wie sagt man politisch korrekt, Afro-Deutschen?! Kennen, der hieß Lul, und ich so: LOL??? „Wir haben beide außergewöhnliche Namen, also schon mal was gemeinsam!“ meinte Lul und gab sich auch sonst sehr charmant, war leider nur nicht mein Typ, und außerdem wurden wir während dem Gespräch jäh unterbrochen von einem komischen Milchgesicht, das meinte es sei Millionär (ich tippe auf BWL-Student) und würd gern mit mir essen gehen, ein Bier springen lassen wollte es allerdings nicht. Dafür kam es mir später zu Hilfe, als Tequila-Boy und Berliner Sprayer (Akademie) Künstler Konrad dachte, sein Tequila würde mich dazu bringen, zu seinen Eltern nach Hause mit zu kommen, die haben nämlich ein Schwimmbad. Auf mein entsetztes "Ich will doch nicht in dein Schwimmbad Alter!!!" bemerkte er schlicht, ich könne ja auch mitkommen dann eben ohne Schwimmbad, und tanzte weiter vor mir her. Um ihm zu entgehen, versteckte ich mich auf dem Klo und rauchte mit einem Mädchen heimlich, schade dass sie dann gehen musste, sie wäre Anwärterin auf neue Freundin Nummer Eins gewesen. Mädchen aus Wien, wenn du das liest, melde dich bitte!

Da die Zigarette meine letzte war und unversehens auf einmal halb sechs Uhr morgens und an der Wand lehnen, so schien es mir, nicht mehr ganz so cool und lässig aussah, sondern wahrscheinlich eher verzweifelt, beschloss ich zu gehen, ehe jemand meinen beobachtenden schelmischen Blick missdeuten könnte. So tänzelte ich, beschwipst bestärkt um eine Erfahrung bereichert mit Kopfhörern im Ohr in die Morgendämmerung nach Hause und tyrannisierte Freunde, die nicht dabei gewesen waren via Sms. Denn, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, am andern Ende der Leitung ist immer jemand wach – und allein bist du nur, wenn du dich so fühlst.



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