I... I... follow...


"Schluckst du die blaue Kapsel ist alles aus, du glaubst was du glauben willst. Schluckst du die rote Kapsel bleibst du am Leben. Bedenke, alles was ich dir anbiete ist die Wahrheit." -  so Morpheus zu Neo, um welchen Film es sich handelt, bedarf wohl keiner Erwähnung. Nun handelt Matrix aber von verschiedenen Realitäten – von einer, die den Menschen via Computersimulation rein innerweltlich vorgespielt und aufrecht erhalten wird, und einer anderen, der „wirklichen“ und äußeren Realität, die sich als weitaus unverblümtere entpuppt und in der Menschen von Maschinen an Schläuchen gehalten werden. Im Folgenden möchte ich ein Gedankenexperiment anwenden: Übertragen wir die Matrix auf unsere Realität – und nehmen an wir schlucken tagtäglich die blaue Kapsel, ohne uns dessen bewusst zu sein. Und damit meine ich nicht, dass unsere Körper tatsächlich von unserem Geist getrennt in Maschinenöl verschimmeln, ebenso wenig wie ich mich über Konstruktivismus auslassen möchte und darüber, wie der subjektive Blick oder die Medien eine Sicht auf die Welt konstruieren. Nein, die Frage ist: Ist in der heutigen Zeit, so „gefangen“ zwischen Innen und Außen, Auge in Auge mit der großen Welt, Stress, Hektik, iPhone und portionierten Freundschaften nicht das viel größere Wagnis, sich, dialektisch zum Film, in die Innenwelt zu begeben?

Die rote Kapsel schluckend konfrontiert man sich so mit Dingen, die in der Realität unseres Alltags nichts verloren haben: In Grün sehen wir die Lettern der Verflossenen an uns vorbei rasseln, die Körbe, den Schmerz ... nun haben wir uns aber schon entschieden, also Folgen wir dem Hasen. Und beginnen zu rationalisieren. Versuchen den Code zu begreifen, stellen uns selbst in Frage und vor allem: Jeden auf den wir treffen. Ist er/ sie der Auserwählte, et vice versa? Bedacht hoppeln wir weiter. Wägen ab, erstellen imaginäre Checklisten. Ringen mit Unbekannten, versuchen alle Variablen zu eliminieren, denn Konstanten sind gut. Hard facts, die uns Haken um Haken auf der Liste sicherer machen – hier könnte Neo am Haken sein. Oder Nemo, wie’s eben beliebt. Kommen dennoch nicht umhin zu zweifeln, kompromisslos, dem Perfektionismus entgegenstrebend: 100 Prozent! Und vergessen dabei die einfache und simple Frage: fühlt es sich gut an oder nicht? Der Clou nämlich an der Sache mit den 100 Prozent ist der, wenn es passt, werden aus 80 Prozent 100 – in Erfüllung des Pareto-Effekts, so quasi. Auch für Trinity ist der Beweis, dass Neo der Auserwählte ist, schlicht und sehr ergreifend: Dass sie ihn liebt. So einfach könnte es sein, ist es aber natürlich nur im Film.

Die Matrix in unseren Köpfen hingegen ist geprägt von Ängsten und Zweifeln, verursacht von negativen Erfahrungen und Vorsicht. Dabei sollten, so schreibt auch Paulo Coelho in Der Zahir, Zyklen beendet werden, keine Erwartungen gestellt, keine Ängste gehabt werden, „nicht aus Stolz, Unfähigkeit oder Hochmut, sondern einfach nur, weil sie nicht mehr in dein Leben passen. Schließe die Tür, lege eine andere Platte auf, räum dein Haus auf, schüttele den Staub aus. Höre auf zu sein, der du warst, und werde der, der du bist.“ Dass dies nicht immer einfach ist – die Rede ist immerhin von selbsterschaffenen Agenten die bewältigt werden müssen! -  versteht sich von selbst. Eine Herausforderung, die rote Kapseln nun mal so mit sich tragen. Umgehen lassen sich Déjá-Vus, Fehler in der Matrix, nicht – aber man kann versuchen, das System zu optimieren.

Die Crux, die dennoch bestehen bleibt, ist ein möglicherweise zu komplexes System des Gegenübers, undurchdringlich, vielleicht gar verworrener als das eigene. So läuft die Schnittmenge, die Beziehung, um die es letztlich geht, oftmals Gefahr, eingekeilt zu sein zwischen zwei Egos, ein „Dazwischen,“ das vor lauter Abwägung der Konstanten verkümmert. Nehmen wir der bildhafteren Verständlichkeit halber doch einen metaphorischen Gegenstand zu Hilfe, einen Löffel beispielsweise. Du kannst versuchen, ihn zu verbiegen... Dann wirst du sehen, dass nicht der Löffel sich biegt, sondern du selbst.