Spieglein, Spieglein ...

... an der Leinwand, zwei Schneewittchen-Verfilmungen in einem Jahr sind allerhand.
Ohne uns mit kulturwissenschaftlichen Überlegungen aufzuhalten, was wohl die Gründe für die Anhäufung von Märchenverfilmungen und -filmen der letzten Jahre sein mögen (von den Gebrüdern Grimm über Sternenwanderer bis Shrek und sämtlichen Fernsehproduktionen), die beiden aktuelle Schneewittchen-Adaptionen Snow White and the Huntsman und Spieglein Spieglein – die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen (im Folgenden mit SW und SS abgekürzt) im direkten Vergleich.

Der Apfel.
Bild: studiocanal.de
Ein Märchen, das in seinen Grundzügen immer noch das selbe Märchen bleiben will, wird in einer Neuadaption nicht umhin kommen, das altbekannte Motiv zwar aufzurufen, es aber zu variieren. So kommt dem Todesstarre bringenden Apfel in SS nur mehr die Funktion einer kleinen ironischen Pointe am Ende zu – auf einen Apfel fällt Schneewittchen von Heute nicht mehr herein. In SW dagegen schon, jedoch  liegt es hier am Mittler: Die böse Stiefmutter kommt nicht mehr in Gestalt einer Hexe, sondern in der eines Vertrauten.

Der Spiegel
Das  Mittel schlechthin, die Animationstechnik zeitgenössischen Films zu zelebrieren. Ob nun die Königin, verkörpert von Julia Roberts, in SS in Matrix-manier hineintaucht und sich in einer surrealen Anderswelt wiederfindet, oder die glatte goldene Oberfläche in SW langsam beginnt amorph zu zerlaufen, um als Gestalt vor Charlize Theron zu erstarren -  es bündelt sich gerade in den Szenen, in denen die Königin auf ihren Spiegel trifft, der Einsatz technischer Visualität und Virtuosität.
SW geht aber noch einen Schritt weiter, indem er sorgfältig, phantasievoll, und stellenweise ebenso eindrucksvoll inszeniert – während SS oftmals eher auf Humor setzt, wenn die Königin ihrer Schönheitsroutine nachgeht, beispielsweise.

Schneewittchen
Schneewittchen ist schön (wenn man so will) und gut, wenn nicht sogar „das Leben selbst“, die Verkörperung alles Reinen und aller Unschuld. Viel mehr ist nicht zu sagen – viel mehr muss sie nicht können. Dies betrifft auch Darstellerinnen Kristen Stewart und Lily Collins – aber wen kümmert’s, sind doch die Rollen des Gegenparts hochkarätig besetzt.

Die Königin
Julia Roberts mit ewig ironisch-zickigem Unterton ist, wie schon erwähnt, beizeiten recht amüsant anzusehen. Interessant ist auch, wie hier versucht wird, einen historischen Pseudorealismus hineinzubringen: Nicht von ungefähr leidet und hungert ihr Volk und ihre Eitelkeit erinnert stark an Marie Antoinette. Eitelkeit ist auch schon das Stichwort – diese scheint ihre einzige Bestrebung zu sein, die einzige Motivation zum Bösen – wie es in Analogie mit ihrem Spiegelbild schon im Märchen war. Auch die Parallele zu Wild’s Dorian Gray lässt sich weder leugnen, noch übersehen – vielleicht nicht der schlechteste Einfall, ebenso wenig aber auch der originellste.

© Universal Pictures

Noch interessanter allerdings ist, dass der Figur der Charlize Theron erstmals psychologische Tiefendimension beigemessen wird. Dass ein Mann, der ihr einst das Herz brach, Schuld an allem Übel ist und zudem auch ihre Mutter, die ihr sagte, ihre Schönheit sei ihr ganzes Kapital, mag zwar arg feministisch sein und ein sehr holzschnittartig entwickelter Ursprungskonflikt, dennoch vermögen gerade diese Aspekte, der Figur gewisse Menschlichkeit und Gebrechlichkeit zu verleihen. Die böse Stiefmutter ist nicht mehr „einfach nur böse“, sie ist es aus Schmerz und Verbitterung, eine Emanze mit fehlgeleiteten Idealen, einsam und nur noch Erfüllung findend in Schönheit und ewiger Jugend.

Insofern ist auch eine Kontextverschiebung nicht verwunderlich, was die Männer angeht: Der Prinz wird zum Freund, der Jäger, wie der Titel „and the Huntsman“ schon besagt, zum Begleiter und Retter – in einer Zeit, in der Äpfel ihren verwunschenen Wert verwirkt haben, brauchen Prinzessinnen auch keinen Prinzen mehr.

Mit neuen Mitteln und viel Kreativität  gelingt beiden Filmen, SW aber noch mehr als SS, der visuell angereicherte, effekt- und spannungsgeladene Transfer vom Märchen zum Film, der sich als Fantasy-Abenteuer größter Aktualität erfreut. Snow White and the Huntsman besticht jedoch mit mehr Originalität, Düsterheit, einer brillanten Optik und nicht zuletzt mit einer grandiosen Charlize Theron und lässt Spieglein Spieglein somit als kinderfreundlicheren, „netten“ Film hinter sich.