Die Roche schreibt wieder ...

... und ganz Deutschland und seine Medienlandschaft stehen Kopf. Und auch diesmal wird die Rechnung „Erwartungshaltung der Leser +  Obszönität = ganz oben in der Bestsellerliste“ aufgehen. Dabei ist die Berechnung, mit der Roche ein bisschen Sex und Vulgarität um die Geschichte herum drapiert,  schlichtweg nicht zu überlesen. Denn die Geschichte ist eigentlich eine andere: es ist die von Charlotte Roche selbst.

Seit sieben Jahren ist die Protagonistin Elizabeth mit ihrem Mann verheiratet, der ihr kurz nach Verlust ihrer drei Brüder bei einem Verkehrsunfall begegnet und stark sein soll für beide. Sie kommt aber über die Tragödie nicht hinweg, geht seither drei mal die Woche in Therapie und steht auch sonst in ständiger Selbstreflexion, -kontrolle und –überwachung. Das wichtigste überhaupt ist für sie, ihre Familie, also Tochter und Mann, nach einem „normalen“ Lebensentwurf beisammen zu halten – entworfen gegen ihre feministische Mutter, die fünf Kinder von drei Vätern hatte. Gerade gegen diese Erziehung lebt sie ihre Sexualität aus, kann nur im Bett vollkommen loslassen, wie sie sagt, oder aber eben auch nicht: die Mutter und Alice Schwarzer schauen immer über die Schulter.

Und während es im Kern um die Überwindung eines tragischen Familienunglücks sowie eigener Neurosen und Selbsttherapie geht, wirken die darüber hinausgehenden „vulgären“ Szenen geradezu gezwungen,  reine PR-Maßnahme, Mittel zum Zweck, nämlich: Polarisieren, Verkaufen. Das Buch ging direkt mit einer Auflage von einer halben Million in die Regale, irgendwie müssen die Leser ja wieder angelockt werden. Und der Name Roche steht seit „Feuchtgebiete“ nun mal für versaut und dreckig.  Wenn aber der Spiegel genau in diesen versauten Parts den Ansatz eines „funkelnden Sexromans“ erkennt, kann man nicht umhin den Kopf zu schütteln. Denn zwischen funkelnd und Schundheftchen liegen Welten.

Und sind wir mal ehrlich: wie Oralsex in Detail funktioniert oder aussieht, wird der Leserschaft nichts Neues sein. Oder, dass Muschimuskeln angespannt werden können, um die Intensität zu steigern. Und wer hat nicht schon mal mit seiner besten Freundin über Spermaschlucken geredet?! Die gemeinsamen Puffbesuche der Protagonistin und ihres Mannes wirken in Anschluss daran dann auch nur noch wie ein notdürftig konstruierter Überbau, der Schritt weiter, der zwingendermaßen folgen musste, um ein klein wenig „schocken“ zu können. Wahrlich schocken tut hier gar nichts. Höchstens die Offensichtlichkeit, mit der die Roche das große Unglück ihres eigenen Lebens thematisiert (auch ihre drei Brüder starben auf dem Weg zu ihrer Hochzeit bei einem Autounfall) und es noch schafft, im talentfreien halbgaren Schreibstil einer 17jährigen Tagebuchschreiberin den großen Reibach damit zu machen.

Dass sie dies unter anderem auch in Gegenreaktion zu Medien wie der Bild-Zeitung macht, kann ihr noch zu Gute gehalten werden. Und gute oder schöne Stellen und Gedanken finden sich auch sonst in „Schoßgebete“, zum Beispiel, wenn Elizabeth von Kindererziehung oder von der Beziehung zu ihrem Mann redet: „Man muss jeden Tag freiwillig zusammen sein.“ Auch ihre Neurosen schildert sie teils amüsant – an einer Stelle stellt sie ihrem Mann, rasend vor Eifersucht, eine Falle, um nachverfolgen zu können, ob er Pornos geschaut hat. Was Charlotte Roche außerdem gut kann: den Leser vom eigentlichen Geschehen mit den Gedanken der Protagonistin weit wegtreiben lassen. So bewegt sich das Buch ständig auf zwei Zeitebenen und gibt so Einblick in das Seelenleben von Elizabeth. Gute Momente werden jedoch schnell gebrochen durch ihre sprachliche Unfähigkeit, nun, was manche bezeichnen als die ihr eigene Mundart, mag andere vielleicht zum Fremdschämen verleiten. Und, um die Authentizität noch auf die Spitze zu bringen, finden sich immer wieder englische Phrasen, whatsoever.

Die Themen, die die Protagonistin in Gedanken weiterhin anschneidet (und ein Vergleich zu James Joyces „Ulysses“, nur weil es sich um einen Möchtegern-Bewusstseinsstrom handelt, halte ich für geradezu respektlos!) – Treue, Analsex, und so weiter, achja, sie bekommt auch Würmer im Po- irgendwie hat es die Roche wohl mit dem Anus. Hämorrhoiden waren es ja in „Feuchtgebiete“. Ist der Anus etwa das neue Must-Thema des Feminismus? Wohl kaum. Denn mit sexuellen Revolutionen und „Karten-auf-den-Tisch-Mädchen“, da sind die Frauen doch schon lange durch. Spätestens seit „Sex and the City“, und ja, irgendwie passte da „Feuchtgebiete“ auch noch rein und war irgendwie ja auch originell, ist das was Charlotte Roche jetzt noch versucht in das Buch einzubringen, überholt.

Was den therapeutischen Anteil von „Schoßgebete“ angeht, kann man das in Sarah Kuttners „Mängelexemplar“ besser nachlesen. Die Kuttner hat nämlich, woran die Roche scheitert: Sprachgewandtheit und Wortwitz. In diesem Fall macht Charlotte Roche selbst nichts anderes als die Bild-Zeitung: die schlachtet sich aus für den Kommerz. Wenn man sie aber gleichsetzt mit ihrer Protagonistin, die sagt, sie mag Geld und hat ein tolles Verhältnis dazu – wer will es ihr also übel nehmen? Sie hätte ja auch wirklich Tagebuch schreiben können, so ließe sich halt nichts verdienen damit.

Ob „Schoßgebete“ literarisch wertvoll ist oder nicht, das soll gar nicht zur Debatte stehen. Die Frage beantwortet sich wahrscheinlich schon von selbst. Viel wichtiger aber ist: Muss ein Buch, dass derart augenfällig dafür konstruiert ist, so gehypt werden? Und muss eine Frau, nur weil sie sich zu Sex äußert, berechnend provoziert und Grenzen überschreitet, als neue feministische Opposition gefeiert werden? Wie viel Wert das Schaffen von Charlotte Roche tatsächlich hat, wird sich wohl erst in Retrospektive zeigen.

Besonders wertvoll ist „Schoßgebete“ allerdings nicht, so viel bleibt für den Moment festzuhalten. Wer wirkliche literarisch-pornographische Ergüsse lesen möchte, dem rate ich, empfohlen von der Süddeutschen, der Welt und Konsorten, zu Nicholson Bakers „House of Holes“.


Der Plan, der nicht aufging

Wirft man ein bisschen von  „Jumper“, „Wanted“ und vielleicht eine kleine Prise „Matrix“ (den kitschigen Part) in einen Topf, rührt einmal um und schmeißt noch Matt Damon hinein, dann erhält man: richtig, einen mittelmäßigen Film in dem es irgendwie um Schicksal geht, um Vorbestimmung und Liebe. Wobei die Fragen die „Der Plan“ aufwirft und versucht zu reflektieren, die von der uralten und essentiellen Sorte sind. Sind das Leben und der Partner mit dem wir (bestenfalls) den Rest dessen verbringen in irgendeiner Weise vorherbestimmt? Folgen wir einem Plan, ist das Ende am Anfang schon festgelegt? Wie steht es mit Zufall, Schicksal, Selbstbestimmung, freiem Willen?

Im Film lernt der Protagonist zufällig (oder doch schicksalsgelenkt?) seine Traumfrau auf einer Männertoilette kennen und sie übt von Anfang an eine große Faszination auf ihn aus. Doch das Wiedersehen mit ihr wird ständig von huttragenden Männern vereitelt, die, wie sich herausstellt, Kontrolleure eines über allem stehenden Plans sind. Laut diesem Plan des, wie er genannt wird, „Chairmans“, wohl Gott, waren David und Elise einst füreinander bestimmt, doch der Plan wurde geändert. Für die beiden bedeutet das, dass sie, so sehr sie auch wollen, nicht zusammen kommen dürfen. Andernfalls würde die Zukunft der beiden ruiniert und alle Ziele wären dahin. Und David könnte nicht mehr Präsident werden. Der Clou an der Sache: würde er sie bekommen, wäre sein Leben so ausgefüllt, dass diese Ziele und Träume überfällig würden -  blöd für „den Plan“ – denn, klar, David könnte vieles bewegen.

Der interessante Gedanke dabei ist, inwieweit die Menschen, die wir in unser Leben lassen, tatsächlich unser Sein und Werden beeinflussen. Dass man automatisch beginnt, Kompromisse einzugehen, wenn man in einer frischen Partnerschaft steckt, ist jedem bekannt. Man nimmt sich weniger Zeit für Freunde, Familie und Hobbys, um an der Zweisamkeit zu arbeiten und diese zu genießen. Das muss doch aber nicht heißen, dass man, wenn man nun meint den Traumprinz oder die Prinzessin  gefunden zu haben, auf bauschigen Wolken hüpft  und erfüllt ist, sich nicht weiter selbst verwirklichen kann. Obama wäre sonst sicher nicht Präsident geworden. Im Umkehrschluss hieße das ja auch, dass man in Sachen Selbsterfüllung bessere Chancen hat, wenn man niemanden an seiner Seite hat. Natürlich hat jeder Phasen, in denen er sich auf sich selbst konzentriert, sich profiliert, definiert – und nicht zwingend Unterstützung dazu braucht. Wenn es aber doch mal funkt und passt, sollte das auch weiterhin kein Problem sein. Denn Liebe bedeutet zwar Kompromissbereitschaft – was aber ebenso heißt, Akzeptanz. Und sicherlich nicht Selbstaufgabe oder -aufopferung. Denn man möchte sein Gegenüber letztendlich beibehalten, wie man es am kennengelernt hat, egal wie beschäftigt oder erfolgreich es ist und sein Eigenleben führt.

Warum aber, stellt sich dann die Frage, wird der Plan für David und Elise überhaupt geändert? Davon abgesehen, dass der Film sich allein aus diesem Konflikt nährt? Und die Antwort kommt zum Schluss: Alles war ein Test. Weil Liebe nämlich alles überwindet. Der „Chairman“ ist inspiriert, der Zuschauer wohl eher weniger. Zumal ihm auch noch unterschwellig der Vorwurf gemacht wird, jeden Tag nach vorgegebenen Wegen zu leben, und:  es könne ja aber passieren dass man seinen freien Willen findet und den Plan neu schreibt. Aber sollten wir das nicht jeden Tag versuchen? Ob nun vorbestimmt oder nicht?

Dass ein Film solche Urfragen übernimmt, um daraus eine Liebesgeschichte zu konstruieren, ist nun beileibe nichts Neues. Und im Ansatz funktioniert das auch. Aber wer die Tragik oder Emotionalität oder Spiritualität ähnlicher Filme wie „Stadt der Engel“ oder eben auch „Matrix“ erwartet, ist hier leider fehl am Platz.