Dauernörgler 2.0_Verweilen wir doch alle im Moment der Frustration!

"Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehn!"

Sagte schon Goethes Faust. Das Problem dabei ist nur: Wann zur Hölle ist man einmal komplett zufrieden? Geht man dabei aus von einem kurzen Moment, dann ist das ein Augenblick absoluter Präsenz, der aber sofort wieder verfliegt. Wie der Begriff „Augen-Blick“ schon sagt: die Lider heben und senken sich. Puff! Moment vorbei. So ein Orgasmus, zum Beispiel. Dann hämmert es dir mal eben hormongeladen durch alle Synapsen und dann: scheiße, ich muss zur Arbeit (schätze dich glücklich wenn du überhaupt Morgensex bekommst!), ich muss schlafen, woa näää, kein Bock auf Kuscheln, was will die Alte eigentlich schon wieder?!, was zieh ich morgen an, was ist der nächste Punkt meines Aufsatzes, hab ich den Wecker schon gestellt? Zufriedenheit, und ich spreche von einer abso-fuckin-luten, gibt es das überhaupt? Die Deutschen sind ja ohnehin verschrien als eine Mecker-Gesellschaft in Übermaß. Es scheint aber tatsächlich so zu sein, dass es immer etwas auszusetzen gibt.

Läuft es in der Arbeit gut, ist die Beziehung scheiße. Oder das Essen schmeckt nicht. Grund zu nörgeln, wenn nichts anderes einfällt, gibt immer: das Wetter. Entweder ist es nass und kalt oder, Gott bewahre, es ist zu heiß! Nicht ein Tag, an dem bei Facebook nicht ausgiebig über das Wetter hergezogen wird. Was kann denn die Natur dafür, dass du alles blöd findest, Mensch? Oder aber kann es sein, dass unser Gezeter sogar naturgegeben ist? Frust von Innen nach Außen verlagern, sozusagen. Aua mein Rücken, oh ich hab mir das Knie gestoßen, mein Frühstücksei ist zu glibberig, das Lieblingsshirt in der Wäsche, und der Typ hat sich immer noch nicht gemeldet!

Demzufolge müssten aber Menschen, die ausnahmsweise die Klappe halten, implodieren. Oder Therapeuten Hochkonjunktur haben. Interessant ist, dass Selbstmordraten ja wirklich höher liegen als die von Autounfällen. Sind das also vielleicht alles implodierte Menschen? Wenn wir nicht permanent keifend durch die Gegend laufen, sterben wir dann aus?

Oder beschwert man sich einfach nur aus Gründen der Sozialität? Mein Mitleid gegen deines! Heute möchte ich mal das Angepisstsein feiern. Denn angepisst... sein ... und es der halben Welt mitteilen müssen, ich denke, das hat was heilsames. So eine Eigenurintherapie ja angeblich auch. 

Kleine wahre Lügen

„Kleine wahre Lügen“ ist ein Film über Freundschaft. Die besondere, Jahre überdauernde Art von Freundschaft aber, bei der man manchmal gar nicht mehr weiß, wie man eigentlich zueinander steht. Dann wiederum gibt es Momente, in denen man sich sogar ein klein wenig zu viel mag,  man sieht sich trunken in die Augen und – verliebt sich in seinen besten Freund, wie es  Vincent im Film geschieht.

Der Film lebt von jenen Augenblicken, die tiefe Freundschaft ausmachen: Man lacht zusammen, betrinkt sich, kotzt, streitet, nimmt sich wieder in den Arm. Blickt sich stillschweigend an und weiß um den Schmerz des Anderen, versteht vielleicht noch besser als der Freund selbst. Man akzeptiert Schwächen und Makel der Freunde, sieht darüber lächelnd hinweg, selbst wenn sie neurotische Anfälle haben und zu weit gehen (und in Jackscher Shining-Manier Wände einschlagen, um Mardern nachzujagen). Man kennt sich und seine Launen, es ist okay. Ebenso die „kleinen wahren Lügen“, die im Raum stehen, von denen jeder weiß, über die aber keiner spricht. Wenn Großzügigkeit zu Egobekräftigung wird, Liebeskummer manisch, oder Alkohol und Drogen zum Füllen von Lücken dienen.

Und dann gibt es Zeiten, in denen man sich sogar abwenden muss, weil man den Schmerz nicht mittragen kann und auf die Stärke des anderen vertraut. Es sollte jedoch nie zu spät sein, wieder zurück an seine Seite zu kehren um beizustehen.

Wenn ein Film es schafft, all diese Facetten zu vereinen und zu zeigen, was Freundschaft ist, was sie sein sollte, und was nicht, dann kann er sein wie dieser: schlicht, ergreifend, gut.




Vom Suchen und Finden der Liebe


Ein Phänomen, das wohl so alt ist wie die Menschheit selbst. Kaum kommt man in die Pubertät, beginnt es: man sucht. Und will. Und hat man etwas, will man mehr! Gibt auf, verlässt, lernt daraus – ok, der Eine mehr, der Andere weniger. Manch einer ist so geprägt von Erfahrungen, dass er nicht mehr raus kann aus seiner Haut. Verbittert.

Ich bin ja Verfechter einer, meiner eigenen, Universum-es-kommt-alles-wie-es-soll-und-nichts-passiert-ohne-Grund-Philosophie. Fickt dich das Leben, sag Danke! Nimm es mit, speicher ab, mach es besser, wachse. So wachsen auch die Ansprüche mit der Zeit. Was aber... wenn das dir eigen implizierte Idealbild so plötzlich vor deiner Nase steht, dass dir die Knie wackeln? Dass du unbeholfen und blöd wirst wie eine 12jährige? Frau ist ja heutzutage selbstbewusst, so voll im Leben. Weiß was und wen sie will. Sprich also den Jagdinstinkt des Mannes an, heißt es. Melde dich nicht! Auch heute noch, allem Feminismus zum Trotz: Halt die Füße still und klimper mit den Wimpern. Sei intelligent, aber nicht zu sehr – könnte ja einschüchtern.

Dem hingegen wissen Männer doch selbst nicht mehr, wer sie sind und was sie darstellen wollen, geschweige denn, dass sie wie „Mann“ handeln. Humphrey Bogarts „Schau mir in die Augen, Kleines“... die Zeiten sind lang passé. Da drängt sich natürlich die Frage auf: Was, wenn mein Gegenüber will, sich aber genauso in die Hose macht? Wie sieht die dämliche Rollenverteilung heute aus? Findet heute überhaupt noch jemand irgendwas, oder sucht jeder nur?


Manchmal ergibt sich ja alles von selbst. Gerade dann, wenn man eben nicht sucht. Oder Dinge einfach geschehen lässt. Es ist aber wahnsinnig zermürbend, dieses gezwungene geschehen Lassen, wenn einfach nichts geschieht, und einer nicht mal in die Offensive geht. Oder zumindest das nicht vorhandene Interesse spüren lässt. Windstille beim Segeln ist nun mal nicht besonders förderlich. Und Nichtstun ist mitunter anstrengender, als einen kleinen Schritt zu wagen, in welcher Form auch immer. Hiermit also ein Appell. Männer dieser Welt, kriegt die Ärsche hoch. Gut, böse, ja, nein, an, aus...Kopf oder Zahl? Mann oder Maus?

Kunst ab 18?

"Heroin Kids" betitelt ein Kunstprojekt von Corinna Engel und Christian Kaiser. In aufwühlenden Fotografien inszeniert das Künstlergespann Modells als Junkies mit zerzausten Haaren, verlaufenem Make-Up, prallem Blick und in obszönen Posen. Kotzend, mit Einstichen, teils verwahrlost, aber dennoch mit einem auf komische Art und Weise ansprechenden, oder eher: faszinierenden Look. Es sollen sich auch echte Abhängige oder Konsumenten unter den Abgelichteten befunden haben.

Eine Ästhetisierung lässt sich diesen Bildern nicht absprechen und ist bewusst gewählt: "Schönheit und Freiheit zeigen sich gerade in intensiven Momenten des Lebens“, so Christian Kaiser. Die Bilder sollen Schönheit, Freiheit, Sehnsucht und auch Liebe zum Zeitpunkt des Niederganges und Exzesses, an einem Tiefpunkt menschlicher Existenz zum Vorschein bringen. 

Genau hier liegt natürlich der Kritikpunkt der Bayerischen Landesanstalt für neue Medien (BLM), die befürchtet,  diese Art von Kunst könnte "entwicklungsbeeinträchtigend" für Jugendliche sein. Gegen diesen ersten Vorwurf konnten sich die Künstler in Revision behaupten und entgingen einer Strafe von 5000 Euro. Nun steht aber schon die nächste Klage ins Haus. Inhalte der Homepage von "Heroin Kids" sollen offline genommen werden, das Statement der Künstler auf ihrer Seite: "Stellen wir die beanstandeten Inhalte wieder ein, wird unser Kunstprojekt verboten. Falls wir das nicht erklären drohen sie uns mit weiteren hohen Kosten und einer Untersagungsverfügung.
Es geht hier wohl längst nicht mehr rein um die "beanstandeten Inhalte", als viel mehr darum eine Zensur durchzudrücken. Außerdem möchte die BLM  ein exemplarisches Urteil, das sie dazu befugt Kunst im Internet in ganz Deutschland ohne Probleme zensieren zu dürfen."

Aber darf Kunst so einfach zensiert werden? Das sollte nicht zur Debatte stehen. Kunst zeigt, was Kunst zeigen muss, und Künstlern sollten keine Schranken auferlegt werden. Der Vorwurf einer Ästhetisierung von Drogenopfern steht zwar zurecht im Raum, doch sind die Fotografien zugleich auch verstörend genug, um Jugendlichen die Kritik daran offen darzulegen. Davon abgesehen, dass im Internet sicherlich weitaus schlimmere Seiten und Bilder zugänglich sind, als diese.

Und Kunst ab 18? Sollte jetzt auch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", die Jugendlektüre schlechthin, zensiert werden, weil sie als drogenverherrlichend gelesen werden könnte? Jugendliche sollten die Möglichkeit haben, sich früh genug kritisch mit Drogen auseinander zu setzen. Fotografien, auch wenn ästhetisch in Szene gesetzt, werden die Jugend schon nicht verderben.

Ausstellung "Heroin Kids" noch bis 27.7., Mein Haus am See, Berlin

Rezension zur Mondrian-Ausstellung im Kunstbau

Hört man den Namen Piet Mondrian, so denkt man automatisch an seine blau-rot-gelb-weißen, mit Schwarz gerasterten Kompositionen von Rechtecken. Was wirklich dahinter steckt und welch eine Entwicklung der Künstler bis zu seiner konzeptionellen Schaffenszeit hatte, ist hingegen weithin unbekannt.

Es gelingt der Mondrian- und De Stijl-Retrospektive im Kunstbau Lenbachhaus München, dem Betrachter einen Zugang hierzu zu verschaffen. An Kunstwerken wie „Metamorphose“ von 1908 und anderen Darstellungen von Bäumen und Kirchen wird ersichtlich, wie Mondrian seinen Weg über den Kubismus in die Abstraktion fand, und wie er, so wie andere Künstler der De Stijl- Gruppe, zum Beispiel Jacoba von Heemskerck, stark von Picasso beeinflusst wurden. Mondrian selbst sagte: „Sie (die neue Gestaltung) kann sich nicht hinter dem verstecken, was das Individuelle kennzeichnet, hinter natürlicher Form und Farbe, sie muss vielmehr in der Abstraktion von Form und Farbe zum Ausdruck kommen -  in der geraden Linie  und in der zur Bestimmtheit geführten Primärfarbe.“ Immer mehr zersplitterten die Farben und Formen in seinen Werken, bis er sich auf das Grundlegende besann: die quadratischen Formen.  Indem er den Inhalt seiner Bilder auf Linien und Grundfarben reduzierte, wollte er eine „universelle Bildsprache“ zu Tage fördern, Kunst für das Volk schaffen.
Die Primärfarben waren, angetrieben von Theo van Doesburg, zugleich das Kennzeichen der Zeitschrift De Stijl, an der über die Jahre etliche Künstler von Rang und Namen, beispielsweise Severini, mitwirkten. Die Intention der Zeitschrift war es, zu einer Entwicklung eines neuen Schönheitsbewusstseins beizutragen, und zwar ganzheitlich. Der Gedanke war, wie schon im Jugendstil, alle Kunstformen zu vereinen, durch eine Grenzüberschreitung der Gattungen die Kunst auf alle Lebensbereiche auszuweiten.  So finden sich in der Ausstellung auch Möbel  sowie Entwürfe und Modelle für Häuser oder Messestände. Das Wirken der De Stijl Gruppe war weitreichend und zeigt seinen Einfluss bis heute, einige der Möbel („der rote-blaue Stuhl“ von Gerrit Rietvelds) genießen, ähnlich wie Fabrikate von Bauhaus, Kultstatus und waren Vorreiter des modernen Designs.
Betrachtet man die vernetzte Arbeitsweise der damaligen Künstler, ihr gemeinsames Schaffen, das auf ein Ziel gerichtet ist, nämlich, dem „Ottonormalverbraucher“ Kunst näher zu bringen, fällt auf: Seit dem Bauhaus gibt es diesen Gedanken in der Form nicht mehr. Künstler neigen heute eher dazu, ihre Arbeit zu mystifizieren anstatt eine Erklärung zu liefern. Auch das Kunstwerk steht meist für sich, ist dem Alltag entrückt. Und wenn Möbel kreiert werden, so sind es unbezahlbare Designerstücke.
Mondrians Werk, gerade die zweite Hälfte seines Schaffens, ist sicher keine leichte Kost, gerade wenn weiterführende Informationen fehlen. Diese und einen guten Ein- und Überblick liefert die Ausstellung, inklusive dem wehmütigen Gedanken, „so etwas könnte es doch mal wieder geben.“

Mondrian und De Stijl, Kunstbau Lenbachhaus München, noch bis 15.08.2011