“I am my own witness. I know it.”

Bild: tiff.net

Schreibt der etwa vierzigjährige namenlose Protagonist (Fadi Abi Samra) in arabischer Schrift. Zeuge wovon? Ist er selbst vielleicht sogar Täter? Meint er den Unfall, dessen Zeuge er wurde, und deren Opfer er nicht rechtzeitig aus dem Auto gezogen hat bevor es in Flammen aufging? Verschanzt er sich deswegen in einem Hotelzimmer einen Monat lang und möchte von niemandem gestört werden? Schreibt er, laut ihm Sänger, an seinen Memoiren, oder doch an    Liedtexten?

Eigentlich... ist das für „The Mountain“ überhaupt nicht relevant. Denn bei den Worten „Ich bin mein eigener Zeuge“ fühlte ich mich ertappt: Dabei wie ich Einstellungslängen zählte. Der Zuschauer wird also Zeuge seines eigenen, voyeuristischen Blickes auf den Film. Und bekommt diesen von der Leinwand direkt zurückgeworfen. Mit voller Absicht lässt der Film sich alle Zeit, das Publikum denken zu lassen, was es will. Ob es sich nun langweilt dabei und in der Nase popelt, während die Kamera geschlagene zwei Minuten lang auf den Rücken des Mannes hält, der da gerade versucht zu schlafen.

Oder ob es sich faszinieren lässt von der experimentellen Herangehensweise Ghassan Salhabs. Jedenfalls bezeichnet das Programmheft den Film als Experiment mit dem Noir-Genre. Aber Schwarz-Weiß bedeutet nicht unbedingt gleich Noir-Tradition oder Neo-Noir. Für einen noir ist der Film nicht düster genug, zu wenig Crime oder Mord oder Femme fatale. Und die Neo-Noir-Ästhetik zum Beispiel eines Sin City ist einfach hiermit nicht zu vergleichen.

Schwarzweiß-Film scheint dieser Tage wieder aufzuleben: so zum Beispiel auch „The Artist“ dieses Jahr, eine liebevolle Hommage an die 20er Jahre. Eine Hommage scheint mir auch „The Mountain“ zu sein, aber sicherlich nicht ans Noir-Genre, sondern vielmehr an eine Zeit zwischen Renoir und Welles, in der Mise en scène, Kadrierung, Tiefenschärfe und Einstellung eine größere Rolle spielten als die Montage. Der Ton auf ein Minimum reduziert, Musik höchstens intradiegetisch vom Handy des Protagonisten, ist man gezwungen sich alleinig aufs Bild zu konzentrieren. Eins, zwei, drei... dreißig Sekunden lang... und bewegt sich der Schauspieler aus der Kadrierung heraus, rutscht die Kamera erst einige Sekunden später nach. Ein Spiel mit unseren Sehgewohnheiten, das Regisseur und Cutter hier vollziehen: der Fingerzeig auf die Leere im Türrahmen, wo wir gewohnt sind zentriert eine Figur zu finden.

Der bewusst selbstreferentielle Umgang mit diesen tradierten Darstellungsweisen und auch das Bewusstsein dafür, dass das Mainstream-Publikum es nicht verstehen wird, ist, was den Film zum Experiment macht. Das Erschaffen von Neuem durch  Rückgriff auf Altes, das Ausloten des Blickes, das Spiel mit der Langeweile, mit scheinbar endlosen Nahaufnahmen – Stilmittel Ghassan Salhabs, die „The Mountain“ reizvoll machen, wenn man lässt. 

Carré Blanc: Interessant.


Interessant. Was genau bedeutet das, wenn man es sagt? Wenn etwas „interessant“ ist, sollte es erst mal: interessieren. Interessant... aus dem Lateinischen: inter esse. Zwischen etwas sein. Dazwischen, das könnte heißen, teilnehmen an etwas. Wenn man teilnimmt, ist Interesse vorausgesetzt.  Oder dazwischen, im Sinn von, man hat sich noch keine Meinung gebildet. Also... es ist im derzeitigen Meinungsbefund weder gut, noch schlecht, aber eben interessant. Bedeutet folglich: das Objekt hat, subjektiv betrachtet, irgendwas.


Auch nach Betrachten einiger Filme ist das manchmal der erste Gedanke - man weiß noch nicht so recht - was sagt man also? Interessant. Klug aus der Affäre ziehen kann man sich so, vielleicht auch erst mal anhören, was der Andere so sagt, warten auf Impulse oder nachwirkende Nachwirkungen. Jetzt komme ich also gerade vom „Carré Blanc“-Screening des tiffs und bin gezwungen mich zu fragen: Was denke ich jetzt?!

Ein düsteres Bild einer distopischen sci-fi Welt zeichnet der französische Regisseur Jean-Baptiste Léonetti hier, verglichen wird es mit Kafka und Orwell. Der Film ist Teil des „Vanguard“-Programms des Festivals, das junge Filme und ihre Macher vertritt, die sich was trauen und provozieren wollen.
Ziemlich grau ist der Film jedenfalls, und braun, Farben die die drückende Stimmung des Filmes untermalen. Aufgenommen in langen Einstellungen, ein langsamer Film, und geredet wird auch nicht besonders viel. Die ersten zehn Minuten jedenfalls so gut wie gar nicht. Was jedoch ständig präsent ist in dieser zukünftigen Welt, Jahr unbekannt, ist die ständige Lautsprecherstimme, die entweder rückwärts zählt:
Foto: negativ-film.de

„Beim vierten Piep sind wir noch genau soundsovielemillionen sounsovielhunderttausend sechshundertundsiebzig“, „Wie wäre es damit, heute ein Kind zu zeugen?“, oder „Krocket ist ein sehr familiärer Sport, aber auch gleichzeitig physisch!“ Krocket und Kinderzeugung als Sport für die noch gebliebenen Massen. Das fand schon die Herzkönigin in Alice im Wunderland super. Ab mit dem Kopf!

Stimmen, die mahnen, was zu tun ist, „das Lächeln nicht vergessen“! Der Protagonist (Sami Bouajila), einst Kind dieser komischen Carré Blanc Vereinigung, oder was genau das jetzt sein mag, verlor seine Mutter, als sie sich umbrachte. Sie verließ ihn mit den Worten, er wird künftig sich verstellen müssen. Und zwar richtig! Er soll besser werden als die anderen, stärker sogar. Und das wird er, nachdem ein Mädchen, das später seine Frau (Julie Gayet) wird, ihn vor dem Selbstmord rettet. Sein Job im Erwachsenenalter: Menschen, annehmlich Bewerber, Tests zu unterziehen. Es handelt sich dabei um gemeine, erniedrigende, schmerzhafte Prüfungen, die aber lösbar wären. Nur angesichts seiner Autorität und der Sinnlosigkeit der Aufgaben kommt niemand auf die Idee. So fickt er alle, wie Mami es ihm beigebracht hat, nur seine Frau, die nicht so richtig. Denn sie möchte nichts sehnlicher als ein Kind, er will es aber nicht in eine solche Welt gebären. Ein Satz, den man heute schon manchmal zu hören bekommt. Dass es aber auch andere Regimes gibt und gab und wer weiß, vielleicht sogar geben wird, schwingt bei solchen Überlegungen selten mit.

Und seine Frau hasst ihn für das, was aus ihm geworden ist, hasst alles an ihm, wie er lächelt, vor allem aber, dass sie kein Kind bekommen. Ausbrechen aber lässt er sie nicht, und auch sie selbst kann es nicht – ist sie doch nach Fortgang seiner Mutter sein einziger Halt.

Was nun halten von diesem Film? Ich kann es immer noch nicht wirklich beantworten. Als ich aber eben vor dem Kino an einer Ampel stand und sie anfing zu piepen und mit mir zu reden, bin ich erschrocken. Interessant...

Der neue Almodóvar - "The Skin I live in"


Wenn Menschen zwei Block (oder auch insgesamt fünf Ecken) ums Kino Schlange stehen und am Eingang Banderas grinst, dann heißt das: Premiere des neuen Almodóvar-Films. Denn Almodóvar, das ist It-Synonym für „Ich schaue Arthouse-Kino und bin voll Anti-Mainstream“. Gefüllte Kinosäle weltweit können aber nicht täuschen, denn Pedro Almodóvar ist Garant für gute und vor allem andersartige Unterhaltung.

Andersartig, weil der Spanier es für gewöhnlich schafft, auch schwere Themen mit einer gewissen Leichtigkeit und ironischem Unterton zu vermitteln. Transgendering und menschliche Randgruppen sind vornehmlich Themen, mit denen er arbeitet. In seinem neuen, in Cannes schon viel gerühmten Film „The Skin I live in“ (La piel que habito), kommt dem noch eine Prise Science-Fiction hinzu. Düsterer ist er, perverser sogar, als üblich, verlauten einige Stimmen. Robert Ledgard (Antonio Banderas) ist Chirurg, seit dem tragischen Unfall seiner Frau, bei dem sie bis zur Unkenntlichkeit verbrannte und sich ob der Verbrennungen das Leben nahm, versessen darauf, eine bessere, widerstandsfähigere Haut genetisch herzustellen. Er gibt vor, sein neues Verfahren an Mäusen zu testen, was er aber verbirgt ist, dass er in seinem High-Tech-überwachten Haus die ominöse Schönheit Vera (Elena Anaya) eingesperrt hält.

Was Verlust geliebter Menschen mit uns machen kann, in welche Abgründe die Trauer führen kann, ist Thema des Films. Denn auch seine Tochter verliert Ledgard, die, psychisch gestört, letztlich aus dem Fenster springt, gleich ihrer Mutter. Eiskalt und mit schwarzem Humor getränkt gibt Banderas den Arzt, der sich am vermeintlichen Vergewaltiger seiner Tochter rächen will und aus dem Versuch heraus seine eigene Gebrochenheit zu kompensieren, das Ebenbild seiner gestorbenen Frau aufrecht erhält.

Doch wer ist sie? Und warum hält er sie gefangen? Was ist das für ein seltsames Spiel von Beobachtung, sich beobachten lassen, Voyeurismus? Sado-Masochismus vielleicht sogar? Warum versucht Vera sich immer wieder zu töten? Und wo zur Hölle kommt auf einmal der Tiger her? Es wäre kein Almodóvar-Film, wenn sich nicht einige Plot-Twists finden ließen. Verraten sei vorab nur soviel: natürlich scheitert Ledgard. Denn aus seiner Haut heraus, Überwinden, das kann er nicht.



Im Kino ab 20.10.2011

„Das sind meine Juden!“



Ruft Leopold Socha (Robewrt Wieckiewicz) den staunenden Passanten zu, die gerade Zeuge werden, wie ein blasser und verdreckter Mensch nach dem Anderen aus dem Gully nach oben gezogen wird. „Seine Juden“, das sind ein dutzend, derer Leben er rettete, indem er sie versteckte in den Kanälen Lvovs. Vierzehn Monate „In Darkness“, so gleichnamiger Film von Agnieszka Holland, der gestern Weltpremiere auf dem tiff in Toronto feierte.


Schindlers Liste meets der Pianist, aber Underground. Und der große Unterschied zwischen Socha und Schindler ist auch, dass Socha nicht etwa helfen will, weil er ein besonders guter Mensch ist, oder Judenfreund. Er stößt nur zufällig auf die Juden und merkt, dass er an ihrer Rettung verdienen könne. Nahrung, jedenfalls so viel und unauffällig wie möglich, und Schutz gegen Geld. Im Laufe des Films scheint sich seine Motivation jedoch zu ändern: als das Geld sich dem Ende neigt, hilft er trotzdem weiter. Er riskiert sein Leben, das seiner Familie und seine Ehe. Zurecht kann er also am Ende stolz sein „Werk“, „seine Juden“ dem Tageslicht präsentieren.

Das Sujet Krieg, Holocaust, Rettung, Opfer, ist sicher kein neues, aber dennoch verliert es nie an Aktualität. Es wird noch viele Filmemacher geben, die sich ihm widmen werden, denn vergessen werden darf nie. Leider vermag dieser Film aber nicht so sehr zu affektieren wie es zum Beispiel „Der Pianist“ tat. Liegen könnte das vielleicht an zu geringer Psychologisierung der Charaktere, immerhin sind es 12 Menschen, die da gerettet werden. Am nahsten kommt man noch Mundek Margulies (Benno Fürmann) und Klara Keller (Agniewszka Grochowska), zwischen denen sich eine Liebesgeschichte anbahnt. Auch er riskiert sein Leben für sie, indem er in ein Arbeitslager geht, um nach ihrer Schwester zu sehen. Er kehrt wieder, die Schwester bleibt erschossen zurück.

Das sind Momente, die eigentlich berühren sollten, den Zuschauer mit dem Schicksal mitleiden lassen. Dass dies irgendwie nicht ganz gelingt, mag nun an den Figuren liegen, an der Nüchternheit der Kamera, oder vielleicht sogar an mittlerweile eintretender Überreizung von Kriegsfilmen. Tarantino schließlich, ließ Hitler schon vor zwei Jahren im Kino sterben.

Dance. Dance. Otherwise we are lost.










Gestern wurde von der German Films einberufenen Jury beschlossen, Wim Wenders "Pina" als Oscarkandidat ins Rennen um den Preis des besten Dokumentarfilms zu schicken. Die Begründung der Jury: " 'Pina' ist ein filmisches Gesamtkunstwerk, das Tanz, Musik und Film harmonisch zusammenfügt und dabei über das Dokumentarische weit hinauswächst. Der Film vermittelt eine sinnliche Erfahrung von Tanz und ist ein ausgezeichnetes Porträt einer großen deutschen Künstlerin."

Und tatsächlich kann bei dem Film von weitaus mehr als Dokumentation gesprochen werden – er ist Kunst. Seit 25 Jahren hatten Wenders und Pina Bausch, Tänzerin und vor allem Choreographin, die Idee eines gemeinsamen Filmes. Doch, so Wenders, wusste er nicht, wie. Bis er die 3D-Verfilmung von einem Konzert der Band U2 sah und wusste: Das ist die Technik, die dem Schaffen Pinas Ehre gebühren wird. Als noch Camerons „Avatar“ den Weg geebnet hatte für etliche 3D-Produktionen, schien der Collabo endgültig nichts im weg zustehen, doch Pina Bausch starb plötzlich.

Wim Wenders wollte die Produktion einstellen, denn „ein Film über Pina, ihre Sicht der Dinge und Menschen, schien nicht möglich ohne Pina.“ Wer letztendlich überzeugte, die Dreharbeiten trotzdem fortzuführen, waren die Tänzer selbst. Und so sind sie es, die Pina Bausch und ihr Wesen im Film aufleben und vor allem weiterleben lassen. „Es ist, als sei sie ein Teil von uns“, sagt eine Tänzerin, und das merkt man in jeder Minute.

„Pina“ ist kein Dokumentarfilm im klassischen Sinne. Biographische Eckdaten und Stationen spielen keine Rolle, es gibt keine Handlung, und auch Pina selbst wird nur wenig gezeigt. Aber wie einen Menschen besser zeigen als durch seine Passion? Charakteristisch für Pinas Arbeit war, den Tänzern weniger Instruktionen zu geben als vielmehr das herauszuholen, was in ihnen steckt. Sie durchschaute die Menschen, heißt es. Und stellte Fragen. Immer Fragen, die die Tänzer an ihre Grenzen stoßen und ihre Antworten in Expression geben ließen. „Dance for love“, sagte sie, und ebenso choreographierte sie. Ihre Stücke handeln von Liebe, Einsamkeit, aber auch die vier Elemente waren großer Bestandteil ihrer Inspiration. Selbst der größte Tanzlaie kommt nicht umhin, dies auf der Leinwand zu spüren, die Leidenschaft, die Dynamik, und ist ergriffen. Denn mit Tanz ist es ein bisschen wie mit moderner Kunst, man muss nicht immer unbedingt mit dem Kopf verstehen, wenn die Emotionen greifen.

So wechselt der Film zwischen Ausschnitten bekannter Aufführungen Bauschs wie „Café Müller“, in dem sich die Tänzerinnen mit geschlossenen Augen bewegen und Outdoor-Aufnahmen einiger der Tänzer, gedreht in Wuppertal, wo Bauschs „Tanztheater“ sässig war. Auch kurze komödiantische Szenen lassen sich finden, die ein bisschen was vom „Kino der Attraktionen“-Charakter haben. Und dazwischen Porträtaufnahmen fast aller Tänzer, Voice-Over in Gedanken und Gedenken an Pina.

Hinzu kommt die brillante 3D-Technik, in der der Film gedreht wurde. Hier wird nichts vorgeführt, wie in sonstigen Mainstream-Produktionen, es fliegt nichts um die Ohren. Fragil zeigt sich ein Vorhang, Körper und Möbel werden plastisch, doch niemals aufdringlich. Der Film erreicht eine Nähe, die dem Zuschauer bei Betrachtung einer Aufführung auf der Bühne niemals möglich gewesen wäre. Und 3D erreicht endlich Kunstwert.

„Pina hätte das so gewollt, glaube ich“, konstituiert Wenders. Mit Sicherheit hätte sie das.

The Vanity Fair, aka.: Facebook


Im folgenden Artikel sind die Handlung und alle handelnden Personen frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wären rein zufällig.  Jedenfalls fast.

Wie wir alle, bin auch ich Teil der Facebookgeneration, dieser Maschinerie, des virtuellen Beisammenseins. Ständig geht das Phänomen „Facebook“ durch die Medien und wird durchleuchtet von allen Seiten. Die wohl spannendsten Fragen sind, wie sich der permanente Zwang zur Performanz oder die Art der Kommunikation unter „Freunden“ gesellschaftlich auswirken. Beispiele zu aktuellen Diskussionen finden sich in der Süddeutschen oder in der F.A.Z., um nur zwei davon aufzuführen.

Wenn man aber mal schaut, nicht nur um eben so zu schauen, sondern einen differenzierteren Blick auf sogenannte Freunde wirft, kommt man nicht umhin, täglich immer wiederkehrende Schemata festzustellen. Wagen wir uns also in soziologische Gefilde vor und versuchen, diese zu Typologisieren (Mischformen möglich).

Der Typus, der wohl jedem am meisten aufstößt und von vielen gar nicht mehr gesehen wird, da: geblockt, ist der, der nichts zu sagen hat, aber uns nicht damit verschont, es trotzdem zu tun. Nennen wir es digitale Logorrhoe. Sollte sich diese in den nächsten Jahren als tatsächliche Krankheit herausstellen, nehme ich das sofort zurück. Und hoffe das ist heilbar! Denn nein, es interessiert uns nicht, was ihr gerade im Fernsehen seht, ob Werbung kommt oder ihr die Fernbedienung nicht findet! Nein, wir wollen auch nicht wissen wie krank ihr gerade seid, ob ihr Pusteln habt, Kopfweh oder Durchfall! (Gab es schon, Tatsache.) Ob ihr gerade Feierabend habt, oder anfangt zu arbeiten, oder guten Morgen sagt...oder gute Nacht!Was kommt als nächstes? Die Frage nach einem Tampon oder einem Kondom? Nächtliche Updates zu Sexpraktiken? „Ich bin gerade im Bett mit...“
Noch so ein Fall. Menschen, die ständig mitteilen müssen, wo sie sind. Davon abgesehen, dass die Leute, die es interessiert vermutlich sowieso schon danebensitzen und sich freuen verlinkt zu werden – wenn du eben noch gepostet hast, du gehst jetzt arbeiten, wissen wir auch 15 Minuten später wo du bist. Oder in welchem Club. Oder auf welcher Autobahn.

Ein neuer Trend scheint sich breit zu machen unter frischgebackenen Mamis. Das mag jetzt vielleicht am Mittzwanzigerbekanntenkreis meinerseits liegen... Aber Mamis. Schiebt den Kinderwagen ein bisschen raus anstatt täglich Stunden vor dem PC zu sitzen und jeden wissen zu lassen wie sehr ihr euer Kind liebt! Da sind Kochrezepte weitaus ertragreicher für die Allgemeinheit. Dasselbe gilt auch für ebenso frische Pärchen. Wir freuen uns alle für euch! Wirklich! Es gibt nichts schöneres, als zu sehen, dass zwei Idioten, die offenbar zusammenpassen es auch noch geschafft haben sich zu finden! Und Romantik, ich bin ja großer Fürsprecher, und es die ganze Welt wissen lassen, dass man sich gern hat, ist die eine Sache. Sich aber gegenseitig die Pinnwände so vollzusabbeln, dass anderen das Kotzen kommt... nun ja. Ein Herzchen, ein Lied, ein Zitat, ein Wasweißich... aber das öffentliche Zelebrieren muss halt nicht unbedingt sein. Verzieht euch ins Bett, wo ihr hingehört!

Jetzt werden viele sagen: müsst ihr ja nicht lesen, wenn ihrs nicht wollt. Ganz genau, zum Glück gibt es das Facebookeigene ABS, ein Klick, weg sind sie. Pervers: irgendwie will man dann doch, und wenn es nur ist, um sich darüber aufzuregen oder es den Freunden zu kopieren mit garstigem Kichern. Ihr seid gerne das Gespött anderer? Go for it.
Ganz fatal ist, wenn solche Menschen sich dann trennen. Oder verstimmte Allround-Poster im Allgemeinen. Die wälzen sich so lange in Selbstmitleid, bis man sie am liebsten Rütteln würde, oder ihnen zumindest einen Keks geben. Oder Baldrian, damit sie endlich schlafen!
Sehr sympathisch dagegen finde ich den Typus der „Melancholischen“. Ihr Posting-Verhalten ist ein eher ruhiges, dafür hat es das dann in sich: tiefschürfende Lieder, Zitate aus ebensolchen oder auch anderen Quellen, so wirklich gut drauf scheinen die nie zu sein. Der große Vorteil an solchen Online-Bekanntschaften: tolle neue Musik! Auch der Overkill an Youtube-Links lässt sich wieder unterteilen. Für manche ist es Ausdruck einer Emotion, Ansprechen eines imaginären Gegenübers, Erinnerung an einen tollen Moment, manchmal passt es auch einfach grundlos. Für andere Support, Beschallen ebenso imaginär zuhörender Freunde, oder einfach nur geposteter Bullshit. Und warum auch nicht Mitmenschen mit furzenden und hicksenden Katzen zum Lachen bringen?

Was mich im Umkehrschluss zu den „Intellektuellen“ führt. Diese sind meist damit beschäftigt, Zeitungsartikel zu teilen (besonders beliebt: Politik) oder Zitate, die nur auserwählte verstehen können. Wenn sie denn mal kommentieren, dann meist auf einem solchen Niveau, dass einem erst mal die Spucke wegbleibt und man für eine Antwort in eine einstündige Trance verfallen muss. Letztendlich ist das natürlich ebenso eine Selbstbeweihräucherung wie die des Mädchens, das täglich ein neues Bild von sich uploaden muss, um Zuspruch zu bekommen, wie gut es aussieht (Im „Tribute to the stars on Facebook“ der The Altoids Curiously Strong Awards läuft sie unter „Princess Snapshot“). Es ist aber auch ein Teufelskreis - durch Bestätigung anderer wird man nun mal bestätigt, also warum damit aufhören? Dass ein geringes Selbstwertgefühl in solchen Fällen mit reinspielt, der Drang nach Aufmerksamkeit, wird verdrängt oder erst gar nicht wahrgenommen – ist allerdings von Studien belegt.

Wie die F.A.Z. schreibt, „das Bedürfnis nach ständiger, aber unauffälliger, konfliktarmer Abgleichung des eigenen Urteils und Selbstbildes mit anderen“, hofft ein jeder, der etwas postet, dass es gefällt. Was heißen soll, dass MAN gefällt. Von lediglichem Informationsaustausch kann in keinem Fall die Rede sein, die Erwartungshaltung ist immer Aktion gleich Reaktion. Nun kann aber doch keiner behaupten, das virtuell erstellte Selbstbild wäre das wirkliche uns eigene. Jeder projiziert eben die Facetten nach Außen, wie er sie gern hätte, dass sie wahrgenommen werden. Man stelle sich das Szenario vor, wenn dem nicht so wäre! Man läuft über die Straße, denkt sich nichts böses, sieht einen entfernt Bekannten, der stupst einen fröhlich an und erzählt erst mal was es zu essen gab, dass Frauen scheiße sind und beendet mit einem Mark Twain-Zitat?!

Ein jeder sollte sich dessen bewusst sein, ob er nun postet oder nicht (denn auch das ist ein Typus: die [Ent-]Haltung, die liken dann gerne hinterfotzig aus dem Nichts): Es handelt sich bei „Facebook“ um eine Metaebene, um ein konstruiertes Hologramm dessen, was sich darunter befindet. Wenn man an den Menschen dahinter ran will, sollte man das fernab medialer Selbstinszenierung versuchen. 

Liebe, Romantik, Cholera

Man kennt das ja: Zuhause steht ein Regal mit Büchern. Von den Eltern oder allen möglichen Seiten der Familie zusammengetragen, alte Bücher, mit abgegriffenen Einbänden, gelben Seiten, braun und rot und gold betitelt auf dem Buchrücken.
Und man nimmt sich immer vor, sie zu lesen, besonders die ganz dicken, mit den kleinen Buchstaben! Dann klingen die Titel wie „Vom Winde verweht“ oder „Die Liebe in Zeiten der Cholera“ einfach doch zu kitschig und müssen studentischer Fachliteratur weichen... oder ihren Verfilmungen. Was mir bei zweitens genannten Buch entgangen ist, kann ich also nicht beurteilen. Was ich aber zusätzlich noch versäumt habe: mich 2007 auf Kinostarts zu konzentrieren und den Film anzuschauen.

Und ehrlich, ich möchte jetzt keine großartige Filmkritik dazu liefern. Sondern vielmehr für ein paar Minuten die Zeit anhalten, um einigen wunderschönen Gedanken des Films Raum zu lassen, die wie es manchmal scheint, langsam in Vergessenheit geraten. Denn Romantik, Warten, ein Leben lang! Briefe! Sterben wollen für die Liebe! Sie heiratet, er wartet fünfzig Jahre bis der Neue stirbt, schläft mit hunderten Frauen aber: W-A-R-T-E-T. Innerlich!!!

Für etwas,  auf etwas, das laut ihr, Illusion war. „Well, not for me.“, sagt er. Denn jeder lebt in seiner eigenen Realität. Und ist Liebe nicht auch immer Illusion? Jeder der sich mit Liebe schon mal auseinander, besser: zusammengesetzt hat, weiß das: anfängliche Überhöhung des Anderen, der Moment in dem man sagt „für immer!“ um es dann doch zu revidieren – die Magie des Moments, die sich im Nachhinein als verschämtes Eingeständnis der Fehleinschätzung entpuppen muss.

Das gemeine an solchen Filmen ist, dass sie selbst stärkste Realistenherzen erweichen (und ich selbst bin ja noch nicht mal einer, das macht es schlimmer!) und den niederträchtigen, tief sitzenden Glauben nähren, der in den Köpfen unzähliger kleiner Mädchen/Disneyprinzessinnen gesät wurde: es gibt die eine spezielle Person für den Rest deines Lebens! Und ich bestreite das für viele Fälle auch gar nicht, allen Statistiken zum Trotz. Denn was Glauben letztlich stark macht, ist der Glaube an sich. Law of attraction, sagt man.

Das traurige daran ist aber eigentlich, wie es oftmals scheint, dass diese Dinge heute nicht mehr zelebriert werden. Romantik und Leidenschaft und so. Zu häufig geht es um das Oberflächliche, und nicht die Essenz. Um Schreiben in einer blau-weiß-bunten-wer-bist-du-aber-eigentlich-lern-ich-dich-eh-nie-kennen (man beachte den Unterschied zwischen kennenlernen und kennen...lernen), und noch öfter um jemand Ab-Schreiben, denn da sind wir ganz groß drin. Dass diese Geschichte von dem Mann, der fünfzig Jahre wartet und so schöne Briefe schreiben kann, nicht realistisch ist, das weiß ich selbst. Aber wäre es nicht möglich, das Unrealistische ein bisschen häufiger in die Realität zu holen? Fürs erste vielleicht jeder in seine eigene Realität?
Los, schreibt Briefe und Gedichte und parfümiert sie ein und lasst sie zufällig an der richtigen Stelle fallen! Macht große Worte und schert euch nicht drum! Von Blumen an die Mädchen ganz zu schweigen! Schmalzt rum was das Zeug hält, danken wird es euch am Ende: Eure Seele. Und schlechter wird der Sex davon bestimmt auch nicht.

Und für alle Verliebten – ob glücklich oder unglücklich, frisch oder verwitwet, ist „Love in the time of Cholera“ der richtige Film, immer und zu jeder Zeit. Ihr werdet heulen. Versprochen.