Let’s start a revolution from our beds


Wieder neigt sich ein Jahr dem Ende zu, in 30 Stunden ist 2011’s letztes Stündlein geschlagen. Mein persönliches Lieblingswort diesen Jahres: eindeutig Selbstreflexion. Naturgemäß geht jeder Mensch dieser, gerade jetzt, zur Zeit des Jahreswechsels, nach. Man beschäftigt sich damit, was man in den letzten zwölf Monaten erreicht und versäumt hat, zieht Bilanz, rekapituliert, begleicht Rechnungen oder nimmt sich vor, einige im nächsten Jahr zu begleichen, nicht zu vergessen, mehr Sport, weniger Alkohol, etc.

Interessanterweise scheint sich, wenn man sich ein wenig umhört, eine gewisse Melancholie breit zu machen. Ein Fin de Siècle-Gefühl, wenn man mich fragt. Damals war es eine Jahrhundertwende, für damalige Verhältnisse rasanter Fortschritt und Industrialisierung, neue Erkenntnisse in Physik, Biologie und Psychoanalyse, die die Menschen ermüden ließen. Ermüdung und Erschöpfung, Nervosität bis hin zu Hysterie, waren um 1900 die Schlagworte. Physikalische Begrifflichkeiten der Kraft und Energie wurden übertragen auf den Menschen, dessen Energie wiederum in Anbetracht der unaufhaltsamen Modernisierung erschöpfbar schien.

Was hat sich nun, bezogen auf diesen vorletzten Tag im Jahr 2011 geändert? In der Grundstimmung so ungefähr gar nichts. Nur nennt sich das kollektive fed up-Gefühl heute Burn out. Waren es damals Eisenbahnen und Nervensysteme, die Mensch flashten, das Wachstum von Großstädten – diese Schnelligkeit erscheint uns heute als Slow Motion. Wir haben das Internet, Autobahnen, Fast Food, One Night Stands, ein Leben auf der Überholspur. So lange, bis wir meinen, mal wieder „ausgebrannt“ zu sein und uns den nächsten Wellness-Trip buchen.

Freuds eingeführte Sprech-Therapie ist lange schon salonfähig, und wer den Weg zum Therapeuten noch nicht gefunden hat, analysiert sich eben selbst mittels Wikipedia oder kauft sich Globulis beim Homöopathen. Damalige Krisenstimmung ist auch heute noch präsent, Wirtschaftskrise, okkupieren wir halt, schrei nach Revolution, was wir ändern wollen, wissen wir aber selber nicht. Aus dem Dandy des 18ten Jahrhunderts wird der Hipster, aus der Hysterikerin die Drama-Queen, ja, wir sind alle totale Individualisten. Wie man also sieht, haben wir uns nicht nur technisch, nein auch menschlich, total weiterentwickelt.

Übersehen hierbei aber, dass das was passiert, eben nichts Neues ist. Merkmal der Postmoderne, oder sagen wir, unserer aktuellen Moderne ist es nun mal, Altes aufzugreifen und neu zu verwerten – sei es in Film, Kunst oder Mode. Und mit Sicherheit lässt sich selbstreflexives Krisengedöhns ebenso wie die Ermüdung von aktuellen Gegebenheiten nicht nur in jedem Jahrzehnt, sondern wohl auch subjektiv im Einzelnen jedes Jahr aufs Neue wiederfinden. Genauso die Gegenopposition der Freigeister, die für mehr Positivität dagegenhält. Warum also überhaupt so viel reflektieren, wenn der Gesamtzusammenhang uns epochal doch sowieso erst auf dem Sterbebett einleuchtet?

Die desillusionistische Tendenz im Fin de Siècle führte damals in den ersten Weltkrieg, zerstöre Altes, baue Neues auf, überzogen formuliert. Der Ansatz wäre heute vielleicht– vom Globalen zum Einzelnen - gar nicht verkehrt, starten wir also, mit besten Vorsätzen versehen, ermüdet, a revolution from our beds: Eine Revolution in uns selbst.


Kopf vs. Bauch


Bild: fuckyouverymuch.dk

„Hör auf zu denken!“ denke ich mir und mache trotzdem weiter. Oder gerade deswegen. Oszillierend zwischen stream of consciousness und Leerlauf starre ich aus dem Fenster, kalter Rauch steigt aus dem Aschenbecher, draußen ist es dunkel, in meinem Kopf auch, Birne aus in der Birne. Wo das rettende Lämpchen darüber? Klick, Kopf aus, Gefühl an, und in vice versa, dem Versuch nach zumindest.

Scheinen sich heute nicht so recht einig zu werden, die beiden. Wie so oft. Oben schwindelts, der Restalkohol pocht mahnend an die Schläfen, unten grummelts, in der Mitte seltsames Wirrwarr. Vertrau deinem Bauchgefühl, höre ich oft sagen, mit einem „aber“ in gleichem Atemzug.

Agiere intuitiv, tu was dein Bauch und dein Herz dir sagen, fühlt sich nur so lange gut an, bis die Vernunft sich einschaltet und versucht dazwischen zu reden.  Und dann erfolgt ewiger innerer Monolog, bis du dich im besten Fall klar entschieden hast – im schlimmsten bist du verwirrter denn je und starrst eben aus dem Fenster. Und suchst nach Antworten im Dunkeln.  

Überlegst, spielst Szenarien durch, nimmst Gedanken und Fäden auf, verwirfst sie wieder, gehst irgendwann ins Bett, starrst weiter ins Dunkel. Mehrmals am Tag haben sowohl  Kopf als Bauch die Schnauze gehörig voll. Du beschließt also, dich kurzzeitig auf der rationalen Seite befindend, „loszulassen“. Welch wundervolle Redewendung. Die leider aber nicht aus einem rational gefassten Entschluss resultieren kann, sondern eben nur dann, wenn du einfach damit beginnst, es zu tun.  

Was tust du also stattdessen? Keilst dich ein in Mauern von Eventualitäten und Inbetrachtziehungen, tauchst in ein Lawinenmeer von Assoziationen, drohst zu ertrinken, mühst dich hin und wieder an die Oberfläche, um nach Luft zu schnappen, siehst die Küste, verlierst sie wieder aus den Augen. Verlierst dich selbst für unbestimmte Zeit, aber Zeit ist in solchen Zuständen sowieso kein messbarer Faktor, scheint sie einerseits nicht zu vergehen und andererseits ist plötzlich Ende der Woche und du hast nichts auf die Reihe gebracht, das du hättest machen müssen. Procrastination.

Drehst dich im Kreis, schwankst torkelnd und unbeholfen, entschlossen unentschlossen, auf Metabenen, Teil der Lösung oder Teil des Problems? Änderst deine Meinung drei bis fünfzehn mal am Tag, ebenso wie das aktuelle Lieblingslied, das deine Stimmung  am ehesten stützt, hängst fest in Zahlensymbolik und philosophischem Gedöhns. Greifst nach Strohhalmen, findest kurz gefühlten Halt, um es dann selbst wieder zu zerreden.

An den Strand gespült von rhetorischen Fragen an dich selbst stehst du nun also in deinem persönlichen Limbus und fragst dich, wer zur Hölle es gewagt hat, dir diesen Nonsense einzusäen. Und wo der rettende Kick bleibt. Vielleicht hilft ja Piaf in Dauerschleife... Wahrscheinlich ist aber der Weg das Ziel. Drehen wir uns also ein bisschen weiter, bis der Kreisel fällt und mit ihm alle Bedenken. Und erfreuen uns in der Zwischenzeit am kleinsten Maß der Produktivität: kathartische ins Leere laufende textliche Momentaufnahmen.

Über das Kommentierverhalten großspuriger Kleinstädter


Bild: http://neunzehn80.de/2011/03/04/facebook-like-button-mal-anders/

Was wäre unser Ego nur ohne Facebook. Soeben sah ich die neue Frisur sowie Haarfarbe einer Bekannten mit sage und schreibe 111 Kommentaren. Ich war geplättet. Was mag sich hinter einer solchen Zahl wohl geistreiches verbergen? – fragte ich mich und klickte neugierig auf „see more“. Gimme gimme more? Hätte ich es mal lieber gelassen und mich mit wirklich wichtigen Dingen beschäftigt, die ich aber ja sowieso aufschiebe, weil Facebook immer was von mir will. Beim Überfliegen der Kommentare also, nennen wir es ein einige Minuten währendes Selbstexperiment -wie lange wird mein Intellekt wohl aushalten, bis es schreiend sich abwendet, zur Beruhigungszigarette und zum französischen Drehbuchlektorat greift? – lernte ich soeben, dass Kommentar auch mit „Kommi“ abgekürzt werden kann und fand das äußerst fesch.

Nun, dass Facebook-Geposte ebenso wie Kommentiere eine einzige große Selbstbeweihräucherung ist, ist nichts Neues. Mit jedem Like ein Egoboost für dein Gesicht, deine Titten, deine neuen Schuhe, deine Originalität und wohlüberlegte Individualität, deinen Esprit, deinen Witz, deine Meinung. Viel Raum für dosierte überlegene Überlegungen oder etwa Philosophisches ist da nicht, geht ja sowieso unter zwischen Everyday-Bullshit arbeitender Menschen, die keine Lust haben oder ähnlichem, ja, mittlerweile geht es sogar schon soweit, dass geschrieben wird „Oh ich habe Lust etwas zu posten aber ich weiß grad nicht was, haha!“

Ja, haha. Und wir alle lesen mit. Millionen Trillionen von Terrabytes an Scheiße und Kloake in den Kanalisationen meiner Gehirnwindungen. Ich kann nicht mal was dafür! Ich überfliege das Gepostete in der Hoffnung auf etwas zu stoßen, das mir wirklich mal gefällt! Interessante Info von einem Mitmenschen, mit dem ich nichts zu tun habe, her damit! Damit ich es im Chat gleich dem nächstbesten kopieren kann! Stattdessen ein Post mehr über das Wetter oder die Katze. Ja, unter meinen Freunden befindet sich eine Katzenfreundin/-fanatikerin. Ich weiß jetzt, dass ihre Katze in ihrer Heimatstadt viel leichter ist als die, die sie in ihre neue Stadt mitgenommen hat. Warum ich mir das merke?? Warum ich das überhaupt lese?? Einerseits ist es natürlich eine gewisse Neugier, die einen vom Blockieren abhält. Das ist wie bei einem Autounfall. Wir voyeuristische, schaulustige Scheißmeute! Mit großen Augen betrachten wir diese geistige Massenkarambolage und stehen aber nur dabei und gaffen weiter.

Wobei, ab und zu mache ich mir einen kleinen Spaß draus und kommentiere ein bisschen frech von links. Vielleicht auch rechts. Ganz nach Laune. Mit Ironie ein wenig Salz in die Wunde, zur eigenen Belustigung, versteht ja sowieso keiner, außer die eine gemeinsame Freundin, die kichernd meinen Kommentar likt. Womit wir unserer eigenen Erhabenheit fröhnen und uns imaginär High-Five über die Köpfe der Anderen hinweg geben. Das mit den Kommentar-Likes nimmt, davon sprechend, aber auch seltsame Eigendynamik an. Man betrachte erwähnte, in der Zwischenzeit 117, Frisuren-Kommentare. Jeder Kommentar ein Treffer. Oooooh soooo hüüüüüpschiiiiii Herzchen Herzchen Herzchen Zwinker Zwinker! Hab dich lieb! Essentiell und unerlässlich ist bei solchen Kommentargefechten auf jeden Fall, ungeschriebenes Facebook-Gesetz: der letzte Kommentar gefällt. Grundsätzlich! Die eins am Ende des Verlaufs markiert selbiges Ende.

Gleich laufe ich Amok und fange einfach mal an, bei allem „Gefällt mir“ zu drücken. Schade nur, dass niemand es verstehen wird. Oder es mir noch krumm nehmen könnte. Der Grat zwischen Bosheit, Hinterfotzigkeit und zwinkernder Ironie, zwischen ernst und (sich) zu ernst nehmen, zwischen Gefallen und Gefallsucht, zwischen Ton, Unter-, Überton, Verständnis von Humor, scheint mitunter ein schmaler. Wer das jetzt verstanden hat, gibt mir einfach mal Low Five.




Der Gott des Gemetzels


Bild: spielfilm.de

Vier Schauspieler – Christoph Waltz, Kate Winslet, Jodie Foster, John C. Reilly, eine Wohnung, oder sagen wir, Bühne (nach dem Stück von Yasmina Rezas) – können auch mal reichen. Kein 3D, kein übertriebenes Setting, kein überflüssiger Schnickschnack, kein „Wischi-Waschi“: die Dialoge und Schauspieler müssen genügen.

Und wie sie das tun. Zwei Oppositionen, high-class-work-fidelity und Mittelklassen-Durchschnitts-Kunstliebhaber-Bürger, die aufeinandertreffen, um sich auszusprechen, da Sohn der Ersteren dem Sohn der Zweiteren die Schneidezähne, bewaffnet, nein sagen wir, bestückt, mit einem Ast, ausgeschlagen hat. Entschuldigungen, Versicherungen, und die Sache ist vom Tisch, so sollte man meinen. Auf den Tisch kommt im Verlaufe des eigentlichen Schlichtungsversuchs aber die ein oder andere Sache mehr.

Denn anstatt zu schlichten, verrennen sich beide Paare, gleichwohl wie der Zuschauer hineingezogen wird, immer mehr in einen Strudel von Unterstellungen, Schuldzuweisungen, Vorurteilen, irgendwann auch Alkohol. Jedoch verliert der Film, (oder: das Stück, das Kammerspiel - denn sein Ursprung lässt sich auch mit filmischer Umsetzung, Kameraführung und Schnitt, nicht leugnen) trotz konfliktgeladener Dialektik an keiner Stelle seinen Humor. Höchst pointiert und auf den Punkt gebracht bleibt dem Zuschauer nichts anderes, als der Farce zu folgen.

Eine Farce, die nur durch das Schauspiel getragen werden kann und wird. Waltz, grandios, wie man ihn kennt, stellt sein über allem stehendes Lächeln zur Schau, wenn er nicht gerade das Gespräch für ein Telefonat unterbrechen muss und lässig am nächstgelegenen Mobiliar lehnt. Reilly, das Gesicht, das man meint von irgendwoher zu kennen, aber man weiß nicht mehr aus welchem Film ... mutiert von zuvorkommendem Gastgeber zum selbsternannten Choleriker. Winslet dekonstruiert ihr gestrigeltes Stewardess-look-a-like-Auftreten herrlich bis hin zum betrunken säuselnden. Und die Foster bricht endlich mal aus – selten stand einer Schauspielerin Altern so gut.

Jeder der vier Protagonisten ist mal Gewinner, mal am Boden liegender Verlierer. Opfer seiner Ehe, seines Lebenswandels, seiner eigenen Einstellung. Reihum verbünden sich zuerst die Partner, dann switcht es wieder ... und der Zuschauer mit. Es erfolgt im Laufe des Films eine Identifikation mit jedem einzelnen Charakter – Empathie und Antipathie gleichermaßen. Bei einer solchen Konstellation kann es letztlich keinen Gewinner oder Verlierer geben. Am Ende gewinnt – der Kinogänger selbst.



...Aber...Füchse sind doch gar keine Rudeltiere!


"Du hast mich neulich Nacht vier mal durchgevögelt, David! Du warst in mir! Ich hab deinen Sperma geschluckt! Das bedeutet doch etwas! ... Es war ein Versprechen!“ so, oder so ähnlich Cameron Diaz Ausbruch, bevor sie ihr Auto samt Tom Cruise in „Vanilla Sky“ eine Brücke runterfährt. Die Ausgangsposition: sie, sein Fuck-Buddy, hatte sich mehr erhofft. Und nahm körperliche Nähe als Versprechen für geistige.

Die Frage dabei ist doch – wann beginnen wir unversehens damit, „Versprechungen“ abzugeben? Vielleicht sogar, „verantwortlich“ zu sein für jemand? Bei der Knutscherei im Club,  beim nächtlichen Wälzen danach, bei Sperma in den Haaren? Vermutlich ja wohl nicht. Sollte besagte Ausgangsposition in diesem Fall ja wohl auf beiden Seiten klar auf der Hand liegen. Denn, man kennt sich nicht, man lässt sich leiten, Performance-Art, just for fun.

Und, von dem schweren Wort „Verantwortung“ sprechend, sind wir ja letztlich in unserem Tun immer allein verantwortlich für uns selbst. Unser Leben, unsere Entscheidung, unsere Konsequenzen. Wir als die Hauptakteure unserer Bühne, unseres Laufstegs, scheiß aufs Publikum, die verfaulten Tomaten fangen wir mit links. Mit „Verantwortung“ soll nun aber auch nicht gemeint sein, dass wir uns ständig selbst kasteiend durch die Gegend laufen sollten und über alles und jeden Sorgen machen. Verantwortung „tragen“, auf den Schultern, niederdrückend – ist zwischenmenschlich, ob nun zwischen Männlein und Weiblein, oder in guten Freundschaften, auf Dauer für niemanden tragbar.

Um es aber mal mit dem Fuchs des kleinen Prinzen zu sagen: bei nichtsbedeutenden Begegnungen hat man die Möglichkeit, zu zähmen. Erst wagt man sich auf eine gewisse Distanz hinweg näher hin. Jeden Tag. Langsam gewöhnt sich der Fuchs an diese Anwesenheit, und lässt mit jedem weiteren Tag ein wenig näher. Bis man den Fuchs gezähmt hat und er immer darauf warten wird, wann du, der kleine Prinz, wieder kommen wirst. Laut Fuchs und Antoine de Saint-Exupéry beginnt hiermit dann, was eigentlich gemeint war: Verantwortung.

Verantwortung nämlich dafür, was aus deinem Verhalten resultiert, wenn du nicht frühzeitig weißt, was du tust, oder gar die Notbremse ziehst. Wenn jemand nach durchzechter Nacht und paarstündiger Bekanntheit „bis morgen!“ säuselt, musst du offensichtlich was falsch gemacht haben: du hast deine Grenze verkannt oder nicht deutlich genug gemacht. Wie Shirley Smith in „Wege in die Freiheit“ schreibt:  „Eines dürfen Sie dabei allerdings nicht vergessen. Obwohl Sie nicht für die Reaktionen anderer Menschen verantwortlich sind, müssen Sie sich doch der Auswirkung bewusst werden, die ihr Verhalten auf Andere hat. Wenn Sie jemanden kränken, sind Sie dafür verantwortlich und schulden ihm Abbitte. Nehmen Sie einmal an, jemand behandelt Sie mit Schweigen und ignoriert sie offensichtlich. Sie teilen ihm mit, dass Sie sich von diesem Verhalten verletzt fühlen. Der Andere sagt, Sie haben sich ihre eigene Wirklichkeit geschaffen (dies ist eine beliebte Entschuldigung bei New Age Anhängern). Wenn jemand einen anderen Menschen körperlich, sexuell, intellektuell, emotional oder spirituell missbraucht, ist er dafür verantwortlich. Nur durch die Entwicklung gesunder Grenzen werden Sie fähig, die Grenzen anderer zu respektieren und gesunde Beziehungen aufzubauen.“

Es geht um das Bewusstsein, dass Grenzen nun mal immer fifty-fifty sind. Gut, die Ossis nahmen es damals teilweise nicht so genau. Ein bisschen schmuggeln geht schon. Ein bisschen Mauer einreißen vermutlich auch. Ein bisschen übertreten, ein bisschen „eigene Wirklichkeit“ erschaffen wohl nur dann, wenn der Grenzpatron es lässt. Eigentlich sollte doch aber bei Zuwiderhandeln sofort jemand laut „Stop!!!“ rufen und dir seinen kalten Lauf in den Nacken drücken, sodass es dich schüttelt und du sofort verharrst. Auch Missbrauch obliegt in solcher Situation der Verantwortung aller Beteiligten: Der Eine macht, der Andere lässt, vielleicht weiß es in dem Moment keiner besser. Eher wahrscheinlich aber ist, dass Kommunikation trotz ständiger Reizüberflutung eine Sache ist, die uns ein bisschen abhanden gekommen ist. Der Fuchs und der Prinz, die hatten das noch drauf, in Antoines Phantasie, damals.

Und was sagte der Fuchs bei des Prinzen Einwand, was denn wäre, wenn er irgendwann nicht mehr kommt? Der Fuchs hatte nämlich, davon abgesehen, noch etwas, das vielen heutzutage verloren gegangen ist: Eine positive Weltanschauung. Er meinte: Ja, ich werde traurig sein. Aber dann habe ich die Farbe des Weizens gewonnen! 

Freud im Kino: Eine dunkle Begierde?


Große Namen sind es, mit denen neuester Streifen aus dem Hause Cronenberg lockt: Jung (Michael Fassbender), Spielrein (Keira Knightley), und vor allem Freud (Viggo Mortensen). Was erwartet man sich also, wenn man in einen solchen Film geht? In erster Linie wohl, und dafür sind Filme ja schließlich da, Unterhaltung. Und dann vielleicht, eben gerade hier: Erkenntnisse, neue Denkansätze, Psychologie!

Oder zumindest Einblicke in das Leben des Menschen, der die Psychoanalyse begründete, dem Drogenexzesse nachgesagt werden und der so unheimlich viele Begriffe prägte.
Wider Erwarten aber werden in „Eine dunkle Begierde“, wo es doch gerade um Psychoanalyse gehen sollte, die Figuren erstaunlich wenig psychologisiert. Und eigentlich geht es auch gar nicht um Freud, sondern nur um Jung. Jung, anfangs von Freud als Träger seines Vermächtnisses betrachtet, entwickelt sich immer mehr zum Mystiker, wird gezeichnet als Faustfigur, die wissen möchte „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Durch seinen Drang, psychoanalytische Grenzen auszuloten und der Psyche Irrationalem nachzugehen, spaltet sich einstige innige Trennung Jungs und Freuds.

Nebenbei, und das wohl mit dem Titel auch das vermeintliche Thema des Films, beginnt er eine Affäre mit seiner Patientin Sabina Spielrein. Doch wer meint, an dieser Stelle mehr über Triebe, Begierden oder Dränge zu erfahren, liegt falsch. Einzig der propagierte Zusammenhang von Sexual- und Todestrieb wird aufgerollt und an der seltsam-neurotischen Beziehung von Jung und Spielrein klar: die Dekonstruktion der eigenen Individualität im Akt und in Verschmelzung beider. Wer jetzt aber glaubt, er bekäme dunkle Begierde und Sex präsentiert, liegt wieder: falsch.

Der freudsche Begriff, der wohl noch am meisten zum Tragen kommt (neben ein klein bisschen Traumdeutung am Rande), bleibt dahingegen unerwähnt . Geradezu offensichtlich spielt sich zwischen „Vater“ Freud und „Sohn“ Jung ein Ödipuskomplex ab. Jung möchte (wie) Freud sein, stellt seine Autorität in Frage, freundschaftliche Rivalität steht stets im Raum. Überwindung dessen, Versöhnung und Koexistenz aufgrund des späten Eintritts und des übergroßen „Ichs“ sind aber scheinbar hinfällig.


Freudrezeption oder das Erkennen freudscher Muster im Film fällt der Filmwissenschaft eigentlich unglaublich leicht. Gerade im expliziten Wiederaufgriff aber scheint die Intermedialität den Kürzeren zu ziehen. Wobei: eigentlich liest sich der Film wie Freud. Ein bisschen zäh, ein bisschen langweilig. Nur bleibt das Klingeln im Kopf, das Anstreichen einiger Passagen und das Erkennen leider aus. Libido-Fail, sozusagen. Wie man stattdessen eineinhalb Stunden seiner Zeit sinnvoll investieren kann? Sich mit Freuds „Abriss der Psychoanalyse“ ins Bett kuscheln. 

Fire on Ice


Nur zu gern und zu schnell neigen wir dazu, Menschen Eigenschaften zuzuschreiben. Sie uns zurechtzubiegen, wie es halt gerade passt. Über nonverbale Konversation erhaschen wir einen Blick, yeah, er steht auf mich. Eine Bewegung, eine Hand zu lang gehalten, das Ding scheint so gut wie sicher. Immer von einem selbst ausgehend läuft die implizierte Projektion jederzeit mit. Als hätte man selbst mit seinen Gedanken nicht genug zu tun, denkt man auch noch für zig andere Menschen mit. Leerstellen in Gesprächen werden in Rückversicherung mit Anderen gefüllt, Impression, Diskussion, Interpretation, Penetration. Über YouTube-Links versuchen wir, besagte Lücken bestärkend zu füllen, kehren unser Innerstes nach Außen, aber eben nur vermeintlich. Währt man sich doch immer auf der sicheren Seite, bleibt vage, wird selbst Teil des Diskurses, der Interpretation.

Erhebt sich in nicht mehr fassbare Sphären, denkt, und meint dabei, und meint was der Andere vielleicht meint, schaukelt sich höher, findet keinen Absprung mehr, springt trotzdem. Zwischenmenschliche Beziehungen auf Metaebenen, ein Rausch von Isotopiefeldern. Und was wollten wir eigentlich nochmal sagen?

Haben wir vergessen. War es ein simples „I like you (very much)“, oder sind wir schon wieder so weit davon entfernt, dass uns das Simple entrückt? In freiem Fall, und nein, jetzt sind wir schon gesprungen, jetzt ist es zu spät, versuchen wir uns nochmal auf das Elementare zu besinnen. Und wenn alle implizierten Zuschreibungen nicht mehr reichen, müssen eben Horoskope herhalten. Oder auch Glücksnüsse. Denn das tolle daran ist: man wird immer etwas lesen, worin man sich wiederfindet.

Warum also nicht die Spielerei mit den Elementen mal mitmachen? Feuer, Wasser, Erde, Luft. Sind wir doch alle Teil dessen. Also einfach mal mit dem identifizieren, das einem zusagt. Muss man nicht mal groß googeln dazu, man kann sich auch selbst was zusammenreimen, funktioniert wunderbar. Feuer impulsiv, Wasser emotional, Erde besonnen, Luft dünn. Oder irgendwie so. Versuchen uns dabei aber dennoch immer an unstete Zu- und Einschreibungen zu klammern. Doch so sehr wir auch all unser Wissen, intra-, extradiegetisch, on, off, all unsere Menschenkenntnis zusammennehmen, bleibt die Leerstelle dennoch markiert. Die Interpretation eine subjektive. Stille Wässer tief.

Oder gefrieren. Und das Feuer? Versucht zu schmelzen. Wasser verdampft... Und Feuer...liegt am Ende selbst auf Eis. 

Eins plus Eins


Bild: fuckyouverymuch.dk

In den Grundzügen, sind wir doch alle mal ehrlich zu uns selbst: hat jeder von uns Schiss. Vor Spinnen, vor Wasser, vor Prüfungen, oh und vor allem vor Streit, Verletzung, Enttäuschung oder Bindung. Kommt ein Mensch in unser Leben, tritt das lawinenartig seltsamste Dinge los. Wild wird mit Freunden diskutiert, wann man sich melden soll, wie viele Minuten nach der letzten Sms warten, wann das erste mal Sex, wann „das große Gespräch“, und überhaupt.



Zweifel werden geschürt, genährt, überwunden, unterdrückt. Drei Tage nichts hören verursachen Konzentrationsmangel, Panikattacken und Herzrasen. Und eine Universallösung. Gibt. Es. Nicht. Geschuldet sind dümmste physische Reaktionen immer dem eigenen Background: die Summe aller Erfahrungen und Erwartungen, multipliziert mit dem Reifegrad der eigenen Einsicht und Lockerheit, plus emotionaler Faktor x im Quadrat.

Dass Mathe scheiße ist, wissen wir nicht erst spätestens seit wir uns die Frage nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner stellen mussten – hier korreliert selbige Frage mit einer Versagensangst, die weiter greift als eine rote 6. Und rechtfertigen müssen wird man sich hinterher nicht mal vor seinen Eltern, sondern einzig vor sich selbst. Und hier kommt auch schon der Knackpunkt: man selbst ist sich der größte Feind, größte Kritiker, die größte Hürde.

Denn bei jedem äußern sich Grundformen der Angst, wie Riemann sie bezeichnet, anders. Der Eine braucht unheimlich viel Nähe und Zuwendung, während dem Anderen nichts wichtiger ist als seine Freiheit. Wer immer die Kontrolle haben will, wird versuchen den Anderen zu unterdrücken oder einzusperren. Dann das ewige Thema Eifersucht... letztlich immer mit dem gleichen Ziel: Verstanden werden, geliebt, anerkannt, so wie man eben ist. Verbunden immer mit der Herausforderung: kann ich den Anderen auch so stehen lassen? Und was machen wir daraus?

Wie viel Nähe verträgt ein Mensch, wie viel Freiheit braucht er? Im besten Fall ist das Verhältnis ein ausgewogenes und jeder lebt auch sein eigenes Leben weiter wie gewohnt, die Überschneidung beider als Nonplusultra. Im schlechtesten Fall zieht man nach ein paar Wochen zusammen ob des unermesslichen Nähebedürfnisses und bekommt wenige Monate später das Kotzen.  Das andere Extrem ist, dass man vor lauter Eins mit sich selbst sein das Zwei-Sein vergisst, und wegstößt.

Ob oder wie gut das funktioniert ist wohl auch immer Erkenntnis-, Typ- und vor allem Frage der Kompromissbereitschaft. Manchmal ist Eins plus Eins eben Eins. Und manchmal geht die Rechnung nicht auf. 

Ich denke, aber darf ich sein?


„Warum läufst du so langsam?“ Wurde ich letztens gefragt. Was mich zum Nachdenken brachte. Und zur Folgerung: Warum nicht? Warum nicht mal genießen, die Menschen an dir vorbeiziehen lassen, der Musik im Ohr und dem eigenen Herzschlag lauschen? Nach oben sehen und die hässlichen Plattenbauten romantisch finden, wie sie im Nebel verschwinden?

Wenn ich dann schräg angeschaut werde und Andere sich wundern, wie bei mir immer alles toll und erfolgreich sein kann,  selbst wenn es dunkel und kalt und ist eklig draußen, lächle ich wissend und entgegne: „Einstellungssache.“ Wenn du deinen Fokus nur auch das Schlechte richtest, warum dann noch wundern? Auch ich fresse Scheiße, wenn nicht gar täglich. Doch aus Scheiße geilstes Schocko-Mousse machen ist eine Kunst. Eine Kunst, die der Übung bedarf.

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ stand schon in der Bibel – doch was Menschen bei dieser Phrase oftmals vergessen, ist das „selbst“! Wenn du mit dir nicht im Einklang bist und dich nicht liebst... wer sonst soll es also tun? „Ich denke, also bin ich“, heißt es außerdem. Das Sein in permanenter, performativer Selbstreflexion, ist ständige Nach- und Neujustierung. Denke also, aber sei dabei vor allem – du selbst. Man beachte dabei die semantische Zusammensetzung des Wortes Selbstbewusstsein: sei dich deiner selbst stets bewusst. Am ehesten noch dann, wenn du an einen Punkt kommst, an dem deine Authentizität in Frage gestellt wird.

Wir alle kennen das Märchen der kleinen Meerjungfrau, die unbedingt Mensch sein wollte und für ihre Beine durch Höllenqualen ging. Sie scheiterte. Was lernen wir also daraus? Sicher nicht dass es sinnlos wäre, romantischen Idealen hinterher zu jagen. Aber suche unter deinesgleichen. Lasse Menschen vorbeiziehen, die dich aufhalten wollen. Laufe langsamer. Trete einen Schritt zurück, denke, also sei!

Und wenn du Gefahr läufst, auf die Fresse zu fallen, dann LASS dich auch fallen. Nehme mit was du kannst, steh wieder auf  mit angebissenen Ohren, schnüre die harten Bandagen fester, stürze dich wieder in den Kampf. Aus Schmerz erwächst: Erfahrung. Und Narben sind verdammt sexy. 

bzw ...


Menschen kotzen manchmal wahnsinnig an. Ich bin jetzt kein Misanthrop oder so, mit den meisten komme ich sogar recht gut zurecht. Oder – die meisten mögen mich mehr als ich sie. Aber das macht ja nichts. Menschen... verbringen die meiste Zeit des Tages damit, sich über irgendwas aufzuregen, sich Gedanken zu machen, irgendetwas zu vermissen. Viel gehörter Satz und auch in den Top 10 meines persönlichen Geht-mir-nicht-auf-den-Sack-Rankings: „Irgendwie wäre es ja schon mal wieder Zeit für was Festes.“ Ihr denkt also tatsächlich nach über Dinge, die Ihr nicht habt oder haben wollt, seid Euch dessen aber unsicher, und überhaupt, wisst nicht WAS genau Ihr wollt und wundert euch dann, dass nichts geschieht?

Und WENN dann was geschieht, geht das Wundern und Zetern weiter. Nein, es hat kein Ende. Niemals. So schnell wie möglich muss die Definitionsfrage gestellt werden, was sind wir, wo gehen wir hin? Dein Leben lang hast Du dir die Frage nicht gestellt, und jetzt fängst Du nach einer Woche damit an? Glückwunsch. Und das Wort, das dabei die größte Ehrfurcht    einflößt und scheinbar unausweichlich ist, ist „Beziehung“. Uh. Mir schlottern die Knie.

Total beeindruckend ist es dann, wie Leute es binnen kürzester Zeit ausdifferenzieren und, einem anderen Denken als dem Facebook-Schubladenartigen nicht mächtig, sich in einer befinden. Denn eine andere Option als „in einer Beziehung“, in einer „offenen Beziehung“ oder „Single“, das gibt es in der heutigen Zeit nicht – wenn man das teilen will mit anderen, und offenbar ist das unabdingbar. Selbst wenn man sich fake verlobt, um nochmal eins draufzusetzen und zu zeigen „Der gehört mir!“, sich ob einer Krise trennt für drei Tage und dann aber feststellt „Oh ich kann ohne ihn nicht“ – total wichtig, der Beziehungsstatus geht immer mit.

Was aber sagt die Bezeichnung „in einer Beziehung“ überhaupt aus? Stehen wir doch mit jedem Menschen, mit dem wir zu tun haben, in Beziehung. Zueinander. Welcher Art auch immer. Nennen wir diese Art von Mann-Frau-Beziehung also eine „feste“... Und jetzt? Das Problem bei der ganzen Sache ist, dass der Begriff sich eigentlich jeglicher Definition entzieht, ein Diskurs bleiben muss, weil jeder etwas anderes darunter versteht. Und wen soll es auch wundern, wenn die erste Assoziation dazu ein „Wir eiern seit zwei Jahren in unserer Scheiße rum und vertrauen uns nicht und die Luft ist raus“ ist und erst mal in Abwehr mündet? „Beziehung“ ist ein solch schwerer und träger Begriff, für manche rotes Tuch, für Andere Erfüllung, denn: damit setze ich öffentlich meinen Stempel drauf; für wieder Andere das Damoklesschwert.

Ich bin für eine Entmystifizierung des Begriffs. Mehr Offenheit, weniger Angst. Bevor Ihr euch verstrickt in Beziehung-oder-nicht-Debatten, versucht Euch erst mal aufeinander zu beziehen. Lieber Hund oder Katze? Sommer oder Winter? Schwimmen oder Joggen? Bier oder Wein? Hip Hop oder Electro? Tanzen oder nicht? Schlafen links rechts oben unten? Von An-ziehung und Aus-ziehung gar nicht zu sprechen. Und schaut, ob die Freunde da auch mit-ziehen. Wenn sie nicht gerade zu sehr mit sich selbst und ihren Beziehungsproblemen beschäftigt sind und sowieso nichts Konstruktives von sich geben.

Denn, wie auch immer man das am Ende dann nennen möchte, auf ein Festnageln und Vorführen kommt es einfach nicht an. Oder ein Zerreden. Geht euch doch nicht selbst so auf den Nerv! Ein Genießen der Gegenwärtigkeit und Stresslosigkeit impliziert nicht gleich Unverbindlichkeit. Und keine Beziehung ist trotzdem auch immer eine. Und wie man sich bettet, so liegt man.

Außerdem: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass jemals jemand mir seine/n Neue/n vorgestellt hätte mit den Worten „Das ist (...), wir führen eine Beziehung.“ Man sagt... „Das ist mein neuer Freund.“ Viel essentieller, viel schöner, denn Freundschaft: Das ist die Basis für alles. Kümmert Euch also erst mal um das Fundament, bevor Ihr Häuser baut. 

Urban Explorer.


Fünf Mittzwanziger machen sich auf den Weg in den Berliner Untergrund. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn Kriegsfilme beginnen, an Aktualität zu mangeln, nimmt man eben das, was übrig blieb: Die unterirdischen Gänge unter den U-Bahnen Berlins. Als „urban explorers“ erkunden sie das Dunkle und menschenleere unter der Urbanität, das Ziel ist nach unterirdischem Diskobesuch ein zugemauerter Nazi-Bunker, Nazi-Graffiti included. Natürlich bleibt es nicht dabei. Natürlich avanciert der Film zum Thriller.

Natürlich reichen Kakerlaken oder auch zwei aus dem Nichts kommende Neo-Nazis mit Bulldogge nicht aus für den Thrill. Erst muss jemand fallen und sich verletzen, und dann muss ein psychotischer Ex-DDR-Grenzpatron her, der alle jagt. Soviel zum doch recht überschaubaren und vorhersehbaren Plot.

Bild: wieistderfilm.de
Ein Kammerspiel hätte es werden können, würde die Darstellungskraft der immer weniger werdenden Schauspieler genügen. Stattdessen wird er, vor allem durch die irre Mimik Klaus Stiglmeiers stellenweise zur Farce. Und persifliert damit gesamtes Horror-Thriller-wer-bleibt-übrig-Genre und nicht zuletzt sich selbst. Das vermeintlich schlimme daran: eigentlich will es dieser Film vermutlich ernst meinen. Dennoch ist es lustig mit anzusehen, wie einer der Hauptdarsteller, anstatt einfach den abgeschraubten Bettpfosten, an den er gefesselt ist zu nehmen, um seinen Widersacher zur Strecke zu bringen, lieber minutenlang damit herumläuft und nach einer Gabel greift.

Im letzten Drittel aber schafft es der Film dennoch, seine Anfänge zu übertreffen. Immersion, also das eintauchen in eine fremde Welt, funktioniert mitunter dann am besten, wenn man glaubt zu spüren, was da passiert. Beim Thema Schmerz nämlich. Oder wenn Action und Schock langsam beginnen, überzuspringen. Zumal der Film es schafft, mehrmals mit sich selbst und den Erwartungen der Zuschauer zu brechen.

Davon abgesehen, dass wir nun endlich eine Szene haben, die die Panik beim Satz „Die Fahrkarten bitte!“ auszudrücken vermag ... Nicht alles muss so unterirdisch enden, wie es angefangen hat.

Melancholia.



Die Welt untergehen lassen, das ist kein neues Thema im Film. Emmerich hat es schon das ein oder andere Mal versucht... Dass es Lars von Trier in „Melancholia“ besonders imposant schafft, sicherlich keine Überraschung. Wenn auch das Endzeitszenario als solches in seiner bildnerischen Kraft nur am Anfang und am Ende zu Vorschein tritt. Surreal und Chiriko-ähnlich, pittura metafisica hier das Stichwort, erstrahlt der Weltuntergang bei von Trier. Das von Trier auch Auftakte schafft, die große Augen machen,  ist nichts Neues – in „Antichrist“ ebenso wie „Melancholia“.

Diesmal in einem Zweiakter und ohne rettende deus-ex-machina, zerschmettert er die Welt ganz, nicht nur das männliche Gemächt und alles was mit Männlichkeit assoziiert wird, wie in „Antichrist“. Und scheint aus seiner eigenen Depression, mit der er im Vorgänger noch anders umgeht, aus ihr herauszufinden. Denn trotz Endzeitstimmung und Weltuntergang ist ein Ende doch auch immer ein Anfang.

Bild: inside-movies.de
Zwischen Kollision und Erde ist bei von Trier, was letztlich immer zählt: der Mensch. Und zwischenmenschliche Beziehungen und Existenzen, getrieben bis zur Grenze. In diesem Fall liegt eingebettet ein Familiendrama, Depression, eine gescheiterte Hochzeit. Nicht ohne eine Kirsten Dunst am Rande ihrer Selbst.

Ein Süddeutsche – Journalist schreibt: „Geil, wie hier die Erde verschwindet, in einem Super-Orgasmus!“ und misst dem Film eine sexuelle Komponente bei. Nun, dann scheint er entweder den Film verkannt zu haben oder aber noch nie melancholische oder depressive Verstimmungen gehabt zu haben.

Denn die Frage ist: Wann bricht Deine persönliche Welt zusammen? Wann brechen die Strahlen Deines Planeten Melancholia hinter der Sonne hervor und kommen Dir unaufhaltsam immer näher? Ist es vielleicht, wenn Deine Beziehung scheitert ... oder Du heiraten willst aber nicht kannst oder aber auch andersherum? Wenn Du Deinen Job verlierst oder kündigst? Wann hörst Du auf zu Sein oder zu Werden?

Die viel wichtigere Frage aber: Was tust du? Wenn Du das Gefühl hast, Dich nicht mehr bewegen zu können? Wenn du glaubst, nicht mehr aufstehen zu können? Wenn das Leben oder die Panik Dir den Atem nimmt? Gibst Du dich geschlagen, oder dem Gefühl hin? Suchst Du Halt oder verlierst ihn jeglich? Wirst Du lernen, damit umzugehen? Und was machst du daraus? Was ... also wirst Du tun?

Lehn Dich zurück wie im Kinosessel. Vielleicht mit Deinen Liebsten neben Dir. Lass es zu, denn das Leben ist zu kurz. Kollidiere. Stoß an auf das Leben.

Generation X




Was macht unsere Generation aus? Sorglosigkeit teilweise, so sagt man. Unbedachtheit. Manchmal das Leben leben und nehmen, was und wie es kommt. Manchmal aber abdriften in uns selbst übersteigende Sphären – nicht ohne gewollte Selbstüberzeugung und –überschätzung. Sind „wir“ uns dieser aber dennoch stets bewusst!

Wie schon die Bohème es tat, feiern wir uns, trinken und rauchen zu viel, diskutieren, sehen uns als elitär und als die Zukunft ... Sind also Teil dessen, was pulsierend und kraftstrotzend durch unsere Adern fließt, das man gemeinhin „Jugend“ nennt. Alles kann, nichts muss. Doch wenn wir wollen, erreichen wir alles, auch wenn wir die Seminararbeit aufschieben bis zum Gehtnichtmehr. Was zeichnet uns aus? Die Korrelation aus laissez-faire und Zielstrebigkeit, die letztlich doch zum Erreichen selbstdefinierter Ziele führt? Das gefährliche Halbwissen von dem was wir meinen, das Leben ist? Macht eine Pastiche aus intertextuellen Bezügen von Film, Musik und Freud pointiert schon Gemeinschaftsgefühl? Oder ist es vielmehr das zufällige Zusammentreffen von Wein, Chat und ähnlich hinter sich gebrachten Erfahrungen?

Auf der Suche nach dem, was „wir“ sind,  was uns ausmacht und verbindet, auf der Suche nach Selbstdefinition und vermeintlichem Sich-gefunden-haben, was ist der kleinste gemeinsame Nenner? Vielleicht ein Apple-Produkt, eine aus Spiegel-Artikeln gewonnene politische Weltanschauung, der ständig inszenierte eigene Auftritt? Generation Praktikum, Generation Facebook, Neo-Bohème, Selbstreferentialität? Das ständige Grenzen ausloten, sie überschreiten, betrunkene Zugeständnisse, zu sich Stehen aber manchmal nicht zu seinem Wort oder besagter grenzüberschreitender Handlung? Das Bedürfnis nach Selbstvergewisserung und sich Mitteilen? Das Tragen seiner Persönlichkeit nach Außen hin im Gedanken, ihre Besonderheit wird wahrgenommen?

Die Frage all dieser Fragen jedoch ist: fühlen wir uns nur so, oder sind wir besonders?
Wenn wir suchen nach einem Begriff, der unser Lebensgefühl bezeichnet, werden wir diesen vermutlich finden, wenn, richtig: wir alt sind. Zurückblicken auf unser eigenes „goldenes Zeitalter“ und wehmütig sagen müssen „damals, als ich noch jung war...“

Und mit Rotwein in der Hand begann zu philosophieren, ob ich nun Teil einer neuen Bewegung bin. Denn was abseits von Schubladen oder Definitionen bleibt, ist ein Gefühl – des Sturm und Drangs, der Selbstverwirklichung, Herzklopfen. Wir sind der singende und tanzende Abschaum der Menschheit. Und Jugend... ist nach all dem doch immer das gleiche Prinzip. Egal zu welcher Epoche.

'N Guten!



Auch wenn viele gerne das Unschuldslamm mimen: sind wir doch mal ehrlich. Wer ist nicht schon mal auf abendlichen Streifzug losgegangen mit dem festen Vorsatz: Heute besinne ich mich meiner tierischen Wurzeln und animalischen Triebe. Heute jage ich. Und erlege ein Wild. Stille meinen Appetit! Yummie.

Manchmal bekommt man auch, nun, gerade betrunken, Heißhunger, einfach so! Dann nascht man, haut sich den Hals voll, vielleicht sogar mit Essen, das man nüchtern nicht anfassen würde. Scheiß Gelüste! Am nächsten Tag folgt dann übles Rückbesinnen und Bauchschmerzen, wenn nicht sogar noch Übelkeit, oder Gott bewahre, Lebensmittelvergiftung in Form einer Infektion.

Sehr trügerisch nämlich ist, wenn sich nach erstem Probieren und gut Bekunden das Opfer als absolut nicht verträglich oder zäh entpuppt. Auch die ganze Nacht kauen wird nichts bringen. Oder nachsalzen... Bei ersten Anzeichen eines solchen Happens schnell reagieren, als Vorspeise abtun, zurückgehen lassen und auf heißes und besseres Hauptgericht hoffen. Doch Achtung! Zu viele Köche verderben bekanntlich den Brei.

Manchmal geschehen aber auch Dinge und Wunder und die Wahl des Menüs trifft sich eine vortreffliche zu sein! Abgerundet in der Note und durchaus sättigend. Wer nun satt und zufrieden ist, bedanken, Trinkgeld nicht vergessen, Schläfchen machen!

Was aber wenn der Snack zum Lieblingsgericht mutieren könnte? Hunger auf mehr? Warmhalten. Und irgendwann kommt es vielleicht so wie es nun mal ist, wenn man im Stammrestaurant die Karte besieht: Man liest das Menü jedes Mal mehrfach. Bestellt aber letztendlich immer das Gleiche.

In diesem Sinne: Guten Appetit!

“I am my own witness. I know it.”

Bild: tiff.net

Schreibt der etwa vierzigjährige namenlose Protagonist (Fadi Abi Samra) in arabischer Schrift. Zeuge wovon? Ist er selbst vielleicht sogar Täter? Meint er den Unfall, dessen Zeuge er wurde, und deren Opfer er nicht rechtzeitig aus dem Auto gezogen hat bevor es in Flammen aufging? Verschanzt er sich deswegen in einem Hotelzimmer einen Monat lang und möchte von niemandem gestört werden? Schreibt er, laut ihm Sänger, an seinen Memoiren, oder doch an    Liedtexten?

Eigentlich... ist das für „The Mountain“ überhaupt nicht relevant. Denn bei den Worten „Ich bin mein eigener Zeuge“ fühlte ich mich ertappt: Dabei wie ich Einstellungslängen zählte. Der Zuschauer wird also Zeuge seines eigenen, voyeuristischen Blickes auf den Film. Und bekommt diesen von der Leinwand direkt zurückgeworfen. Mit voller Absicht lässt der Film sich alle Zeit, das Publikum denken zu lassen, was es will. Ob es sich nun langweilt dabei und in der Nase popelt, während die Kamera geschlagene zwei Minuten lang auf den Rücken des Mannes hält, der da gerade versucht zu schlafen.

Oder ob es sich faszinieren lässt von der experimentellen Herangehensweise Ghassan Salhabs. Jedenfalls bezeichnet das Programmheft den Film als Experiment mit dem Noir-Genre. Aber Schwarz-Weiß bedeutet nicht unbedingt gleich Noir-Tradition oder Neo-Noir. Für einen noir ist der Film nicht düster genug, zu wenig Crime oder Mord oder Femme fatale. Und die Neo-Noir-Ästhetik zum Beispiel eines Sin City ist einfach hiermit nicht zu vergleichen.

Schwarzweiß-Film scheint dieser Tage wieder aufzuleben: so zum Beispiel auch „The Artist“ dieses Jahr, eine liebevolle Hommage an die 20er Jahre. Eine Hommage scheint mir auch „The Mountain“ zu sein, aber sicherlich nicht ans Noir-Genre, sondern vielmehr an eine Zeit zwischen Renoir und Welles, in der Mise en scène, Kadrierung, Tiefenschärfe und Einstellung eine größere Rolle spielten als die Montage. Der Ton auf ein Minimum reduziert, Musik höchstens intradiegetisch vom Handy des Protagonisten, ist man gezwungen sich alleinig aufs Bild zu konzentrieren. Eins, zwei, drei... dreißig Sekunden lang... und bewegt sich der Schauspieler aus der Kadrierung heraus, rutscht die Kamera erst einige Sekunden später nach. Ein Spiel mit unseren Sehgewohnheiten, das Regisseur und Cutter hier vollziehen: der Fingerzeig auf die Leere im Türrahmen, wo wir gewohnt sind zentriert eine Figur zu finden.

Der bewusst selbstreferentielle Umgang mit diesen tradierten Darstellungsweisen und auch das Bewusstsein dafür, dass das Mainstream-Publikum es nicht verstehen wird, ist, was den Film zum Experiment macht. Das Erschaffen von Neuem durch  Rückgriff auf Altes, das Ausloten des Blickes, das Spiel mit der Langeweile, mit scheinbar endlosen Nahaufnahmen – Stilmittel Ghassan Salhabs, die „The Mountain“ reizvoll machen, wenn man lässt. 

Carré Blanc: Interessant.


Interessant. Was genau bedeutet das, wenn man es sagt? Wenn etwas „interessant“ ist, sollte es erst mal: interessieren. Interessant... aus dem Lateinischen: inter esse. Zwischen etwas sein. Dazwischen, das könnte heißen, teilnehmen an etwas. Wenn man teilnimmt, ist Interesse vorausgesetzt.  Oder dazwischen, im Sinn von, man hat sich noch keine Meinung gebildet. Also... es ist im derzeitigen Meinungsbefund weder gut, noch schlecht, aber eben interessant. Bedeutet folglich: das Objekt hat, subjektiv betrachtet, irgendwas.


Auch nach Betrachten einiger Filme ist das manchmal der erste Gedanke - man weiß noch nicht so recht - was sagt man also? Interessant. Klug aus der Affäre ziehen kann man sich so, vielleicht auch erst mal anhören, was der Andere so sagt, warten auf Impulse oder nachwirkende Nachwirkungen. Jetzt komme ich also gerade vom „Carré Blanc“-Screening des tiffs und bin gezwungen mich zu fragen: Was denke ich jetzt?!

Ein düsteres Bild einer distopischen sci-fi Welt zeichnet der französische Regisseur Jean-Baptiste Léonetti hier, verglichen wird es mit Kafka und Orwell. Der Film ist Teil des „Vanguard“-Programms des Festivals, das junge Filme und ihre Macher vertritt, die sich was trauen und provozieren wollen.
Ziemlich grau ist der Film jedenfalls, und braun, Farben die die drückende Stimmung des Filmes untermalen. Aufgenommen in langen Einstellungen, ein langsamer Film, und geredet wird auch nicht besonders viel. Die ersten zehn Minuten jedenfalls so gut wie gar nicht. Was jedoch ständig präsent ist in dieser zukünftigen Welt, Jahr unbekannt, ist die ständige Lautsprecherstimme, die entweder rückwärts zählt:
Foto: negativ-film.de

„Beim vierten Piep sind wir noch genau soundsovielemillionen sounsovielhunderttausend sechshundertundsiebzig“, „Wie wäre es damit, heute ein Kind zu zeugen?“, oder „Krocket ist ein sehr familiärer Sport, aber auch gleichzeitig physisch!“ Krocket und Kinderzeugung als Sport für die noch gebliebenen Massen. Das fand schon die Herzkönigin in Alice im Wunderland super. Ab mit dem Kopf!

Stimmen, die mahnen, was zu tun ist, „das Lächeln nicht vergessen“! Der Protagonist (Sami Bouajila), einst Kind dieser komischen Carré Blanc Vereinigung, oder was genau das jetzt sein mag, verlor seine Mutter, als sie sich umbrachte. Sie verließ ihn mit den Worten, er wird künftig sich verstellen müssen. Und zwar richtig! Er soll besser werden als die anderen, stärker sogar. Und das wird er, nachdem ein Mädchen, das später seine Frau (Julie Gayet) wird, ihn vor dem Selbstmord rettet. Sein Job im Erwachsenenalter: Menschen, annehmlich Bewerber, Tests zu unterziehen. Es handelt sich dabei um gemeine, erniedrigende, schmerzhafte Prüfungen, die aber lösbar wären. Nur angesichts seiner Autorität und der Sinnlosigkeit der Aufgaben kommt niemand auf die Idee. So fickt er alle, wie Mami es ihm beigebracht hat, nur seine Frau, die nicht so richtig. Denn sie möchte nichts sehnlicher als ein Kind, er will es aber nicht in eine solche Welt gebären. Ein Satz, den man heute schon manchmal zu hören bekommt. Dass es aber auch andere Regimes gibt und gab und wer weiß, vielleicht sogar geben wird, schwingt bei solchen Überlegungen selten mit.

Und seine Frau hasst ihn für das, was aus ihm geworden ist, hasst alles an ihm, wie er lächelt, vor allem aber, dass sie kein Kind bekommen. Ausbrechen aber lässt er sie nicht, und auch sie selbst kann es nicht – ist sie doch nach Fortgang seiner Mutter sein einziger Halt.

Was nun halten von diesem Film? Ich kann es immer noch nicht wirklich beantworten. Als ich aber eben vor dem Kino an einer Ampel stand und sie anfing zu piepen und mit mir zu reden, bin ich erschrocken. Interessant...

Der neue Almodóvar - "The Skin I live in"


Wenn Menschen zwei Block (oder auch insgesamt fünf Ecken) ums Kino Schlange stehen und am Eingang Banderas grinst, dann heißt das: Premiere des neuen Almodóvar-Films. Denn Almodóvar, das ist It-Synonym für „Ich schaue Arthouse-Kino und bin voll Anti-Mainstream“. Gefüllte Kinosäle weltweit können aber nicht täuschen, denn Pedro Almodóvar ist Garant für gute und vor allem andersartige Unterhaltung.

Andersartig, weil der Spanier es für gewöhnlich schafft, auch schwere Themen mit einer gewissen Leichtigkeit und ironischem Unterton zu vermitteln. Transgendering und menschliche Randgruppen sind vornehmlich Themen, mit denen er arbeitet. In seinem neuen, in Cannes schon viel gerühmten Film „The Skin I live in“ (La piel que habito), kommt dem noch eine Prise Science-Fiction hinzu. Düsterer ist er, perverser sogar, als üblich, verlauten einige Stimmen. Robert Ledgard (Antonio Banderas) ist Chirurg, seit dem tragischen Unfall seiner Frau, bei dem sie bis zur Unkenntlichkeit verbrannte und sich ob der Verbrennungen das Leben nahm, versessen darauf, eine bessere, widerstandsfähigere Haut genetisch herzustellen. Er gibt vor, sein neues Verfahren an Mäusen zu testen, was er aber verbirgt ist, dass er in seinem High-Tech-überwachten Haus die ominöse Schönheit Vera (Elena Anaya) eingesperrt hält.

Was Verlust geliebter Menschen mit uns machen kann, in welche Abgründe die Trauer führen kann, ist Thema des Films. Denn auch seine Tochter verliert Ledgard, die, psychisch gestört, letztlich aus dem Fenster springt, gleich ihrer Mutter. Eiskalt und mit schwarzem Humor getränkt gibt Banderas den Arzt, der sich am vermeintlichen Vergewaltiger seiner Tochter rächen will und aus dem Versuch heraus seine eigene Gebrochenheit zu kompensieren, das Ebenbild seiner gestorbenen Frau aufrecht erhält.

Doch wer ist sie? Und warum hält er sie gefangen? Was ist das für ein seltsames Spiel von Beobachtung, sich beobachten lassen, Voyeurismus? Sado-Masochismus vielleicht sogar? Warum versucht Vera sich immer wieder zu töten? Und wo zur Hölle kommt auf einmal der Tiger her? Es wäre kein Almodóvar-Film, wenn sich nicht einige Plot-Twists finden ließen. Verraten sei vorab nur soviel: natürlich scheitert Ledgard. Denn aus seiner Haut heraus, Überwinden, das kann er nicht.



Im Kino ab 20.10.2011

„Das sind meine Juden!“



Ruft Leopold Socha (Robewrt Wieckiewicz) den staunenden Passanten zu, die gerade Zeuge werden, wie ein blasser und verdreckter Mensch nach dem Anderen aus dem Gully nach oben gezogen wird. „Seine Juden“, das sind ein dutzend, derer Leben er rettete, indem er sie versteckte in den Kanälen Lvovs. Vierzehn Monate „In Darkness“, so gleichnamiger Film von Agnieszka Holland, der gestern Weltpremiere auf dem tiff in Toronto feierte.


Schindlers Liste meets der Pianist, aber Underground. Und der große Unterschied zwischen Socha und Schindler ist auch, dass Socha nicht etwa helfen will, weil er ein besonders guter Mensch ist, oder Judenfreund. Er stößt nur zufällig auf die Juden und merkt, dass er an ihrer Rettung verdienen könne. Nahrung, jedenfalls so viel und unauffällig wie möglich, und Schutz gegen Geld. Im Laufe des Films scheint sich seine Motivation jedoch zu ändern: als das Geld sich dem Ende neigt, hilft er trotzdem weiter. Er riskiert sein Leben, das seiner Familie und seine Ehe. Zurecht kann er also am Ende stolz sein „Werk“, „seine Juden“ dem Tageslicht präsentieren.

Das Sujet Krieg, Holocaust, Rettung, Opfer, ist sicher kein neues, aber dennoch verliert es nie an Aktualität. Es wird noch viele Filmemacher geben, die sich ihm widmen werden, denn vergessen werden darf nie. Leider vermag dieser Film aber nicht so sehr zu affektieren wie es zum Beispiel „Der Pianist“ tat. Liegen könnte das vielleicht an zu geringer Psychologisierung der Charaktere, immerhin sind es 12 Menschen, die da gerettet werden. Am nahsten kommt man noch Mundek Margulies (Benno Fürmann) und Klara Keller (Agniewszka Grochowska), zwischen denen sich eine Liebesgeschichte anbahnt. Auch er riskiert sein Leben für sie, indem er in ein Arbeitslager geht, um nach ihrer Schwester zu sehen. Er kehrt wieder, die Schwester bleibt erschossen zurück.

Das sind Momente, die eigentlich berühren sollten, den Zuschauer mit dem Schicksal mitleiden lassen. Dass dies irgendwie nicht ganz gelingt, mag nun an den Figuren liegen, an der Nüchternheit der Kamera, oder vielleicht sogar an mittlerweile eintretender Überreizung von Kriegsfilmen. Tarantino schließlich, ließ Hitler schon vor zwei Jahren im Kino sterben.

Dance. Dance. Otherwise we are lost.










Gestern wurde von der German Films einberufenen Jury beschlossen, Wim Wenders "Pina" als Oscarkandidat ins Rennen um den Preis des besten Dokumentarfilms zu schicken. Die Begründung der Jury: " 'Pina' ist ein filmisches Gesamtkunstwerk, das Tanz, Musik und Film harmonisch zusammenfügt und dabei über das Dokumentarische weit hinauswächst. Der Film vermittelt eine sinnliche Erfahrung von Tanz und ist ein ausgezeichnetes Porträt einer großen deutschen Künstlerin."

Und tatsächlich kann bei dem Film von weitaus mehr als Dokumentation gesprochen werden – er ist Kunst. Seit 25 Jahren hatten Wenders und Pina Bausch, Tänzerin und vor allem Choreographin, die Idee eines gemeinsamen Filmes. Doch, so Wenders, wusste er nicht, wie. Bis er die 3D-Verfilmung von einem Konzert der Band U2 sah und wusste: Das ist die Technik, die dem Schaffen Pinas Ehre gebühren wird. Als noch Camerons „Avatar“ den Weg geebnet hatte für etliche 3D-Produktionen, schien der Collabo endgültig nichts im weg zustehen, doch Pina Bausch starb plötzlich.

Wim Wenders wollte die Produktion einstellen, denn „ein Film über Pina, ihre Sicht der Dinge und Menschen, schien nicht möglich ohne Pina.“ Wer letztendlich überzeugte, die Dreharbeiten trotzdem fortzuführen, waren die Tänzer selbst. Und so sind sie es, die Pina Bausch und ihr Wesen im Film aufleben und vor allem weiterleben lassen. „Es ist, als sei sie ein Teil von uns“, sagt eine Tänzerin, und das merkt man in jeder Minute.

„Pina“ ist kein Dokumentarfilm im klassischen Sinne. Biographische Eckdaten und Stationen spielen keine Rolle, es gibt keine Handlung, und auch Pina selbst wird nur wenig gezeigt. Aber wie einen Menschen besser zeigen als durch seine Passion? Charakteristisch für Pinas Arbeit war, den Tänzern weniger Instruktionen zu geben als vielmehr das herauszuholen, was in ihnen steckt. Sie durchschaute die Menschen, heißt es. Und stellte Fragen. Immer Fragen, die die Tänzer an ihre Grenzen stoßen und ihre Antworten in Expression geben ließen. „Dance for love“, sagte sie, und ebenso choreographierte sie. Ihre Stücke handeln von Liebe, Einsamkeit, aber auch die vier Elemente waren großer Bestandteil ihrer Inspiration. Selbst der größte Tanzlaie kommt nicht umhin, dies auf der Leinwand zu spüren, die Leidenschaft, die Dynamik, und ist ergriffen. Denn mit Tanz ist es ein bisschen wie mit moderner Kunst, man muss nicht immer unbedingt mit dem Kopf verstehen, wenn die Emotionen greifen.

So wechselt der Film zwischen Ausschnitten bekannter Aufführungen Bauschs wie „Café Müller“, in dem sich die Tänzerinnen mit geschlossenen Augen bewegen und Outdoor-Aufnahmen einiger der Tänzer, gedreht in Wuppertal, wo Bauschs „Tanztheater“ sässig war. Auch kurze komödiantische Szenen lassen sich finden, die ein bisschen was vom „Kino der Attraktionen“-Charakter haben. Und dazwischen Porträtaufnahmen fast aller Tänzer, Voice-Over in Gedanken und Gedenken an Pina.

Hinzu kommt die brillante 3D-Technik, in der der Film gedreht wurde. Hier wird nichts vorgeführt, wie in sonstigen Mainstream-Produktionen, es fliegt nichts um die Ohren. Fragil zeigt sich ein Vorhang, Körper und Möbel werden plastisch, doch niemals aufdringlich. Der Film erreicht eine Nähe, die dem Zuschauer bei Betrachtung einer Aufführung auf der Bühne niemals möglich gewesen wäre. Und 3D erreicht endlich Kunstwert.

„Pina hätte das so gewollt, glaube ich“, konstituiert Wenders. Mit Sicherheit hätte sie das.

The Vanity Fair, aka.: Facebook


Im folgenden Artikel sind die Handlung und alle handelnden Personen frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wären rein zufällig.  Jedenfalls fast.

Wie wir alle, bin auch ich Teil der Facebookgeneration, dieser Maschinerie, des virtuellen Beisammenseins. Ständig geht das Phänomen „Facebook“ durch die Medien und wird durchleuchtet von allen Seiten. Die wohl spannendsten Fragen sind, wie sich der permanente Zwang zur Performanz oder die Art der Kommunikation unter „Freunden“ gesellschaftlich auswirken. Beispiele zu aktuellen Diskussionen finden sich in der Süddeutschen oder in der F.A.Z., um nur zwei davon aufzuführen.

Wenn man aber mal schaut, nicht nur um eben so zu schauen, sondern einen differenzierteren Blick auf sogenannte Freunde wirft, kommt man nicht umhin, täglich immer wiederkehrende Schemata festzustellen. Wagen wir uns also in soziologische Gefilde vor und versuchen, diese zu Typologisieren (Mischformen möglich).

Der Typus, der wohl jedem am meisten aufstößt und von vielen gar nicht mehr gesehen wird, da: geblockt, ist der, der nichts zu sagen hat, aber uns nicht damit verschont, es trotzdem zu tun. Nennen wir es digitale Logorrhoe. Sollte sich diese in den nächsten Jahren als tatsächliche Krankheit herausstellen, nehme ich das sofort zurück. Und hoffe das ist heilbar! Denn nein, es interessiert uns nicht, was ihr gerade im Fernsehen seht, ob Werbung kommt oder ihr die Fernbedienung nicht findet! Nein, wir wollen auch nicht wissen wie krank ihr gerade seid, ob ihr Pusteln habt, Kopfweh oder Durchfall! (Gab es schon, Tatsache.) Ob ihr gerade Feierabend habt, oder anfangt zu arbeiten, oder guten Morgen sagt...oder gute Nacht!Was kommt als nächstes? Die Frage nach einem Tampon oder einem Kondom? Nächtliche Updates zu Sexpraktiken? „Ich bin gerade im Bett mit...“
Noch so ein Fall. Menschen, die ständig mitteilen müssen, wo sie sind. Davon abgesehen, dass die Leute, die es interessiert vermutlich sowieso schon danebensitzen und sich freuen verlinkt zu werden – wenn du eben noch gepostet hast, du gehst jetzt arbeiten, wissen wir auch 15 Minuten später wo du bist. Oder in welchem Club. Oder auf welcher Autobahn.

Ein neuer Trend scheint sich breit zu machen unter frischgebackenen Mamis. Das mag jetzt vielleicht am Mittzwanzigerbekanntenkreis meinerseits liegen... Aber Mamis. Schiebt den Kinderwagen ein bisschen raus anstatt täglich Stunden vor dem PC zu sitzen und jeden wissen zu lassen wie sehr ihr euer Kind liebt! Da sind Kochrezepte weitaus ertragreicher für die Allgemeinheit. Dasselbe gilt auch für ebenso frische Pärchen. Wir freuen uns alle für euch! Wirklich! Es gibt nichts schöneres, als zu sehen, dass zwei Idioten, die offenbar zusammenpassen es auch noch geschafft haben sich zu finden! Und Romantik, ich bin ja großer Fürsprecher, und es die ganze Welt wissen lassen, dass man sich gern hat, ist die eine Sache. Sich aber gegenseitig die Pinnwände so vollzusabbeln, dass anderen das Kotzen kommt... nun ja. Ein Herzchen, ein Lied, ein Zitat, ein Wasweißich... aber das öffentliche Zelebrieren muss halt nicht unbedingt sein. Verzieht euch ins Bett, wo ihr hingehört!

Jetzt werden viele sagen: müsst ihr ja nicht lesen, wenn ihrs nicht wollt. Ganz genau, zum Glück gibt es das Facebookeigene ABS, ein Klick, weg sind sie. Pervers: irgendwie will man dann doch, und wenn es nur ist, um sich darüber aufzuregen oder es den Freunden zu kopieren mit garstigem Kichern. Ihr seid gerne das Gespött anderer? Go for it.
Ganz fatal ist, wenn solche Menschen sich dann trennen. Oder verstimmte Allround-Poster im Allgemeinen. Die wälzen sich so lange in Selbstmitleid, bis man sie am liebsten Rütteln würde, oder ihnen zumindest einen Keks geben. Oder Baldrian, damit sie endlich schlafen!
Sehr sympathisch dagegen finde ich den Typus der „Melancholischen“. Ihr Posting-Verhalten ist ein eher ruhiges, dafür hat es das dann in sich: tiefschürfende Lieder, Zitate aus ebensolchen oder auch anderen Quellen, so wirklich gut drauf scheinen die nie zu sein. Der große Vorteil an solchen Online-Bekanntschaften: tolle neue Musik! Auch der Overkill an Youtube-Links lässt sich wieder unterteilen. Für manche ist es Ausdruck einer Emotion, Ansprechen eines imaginären Gegenübers, Erinnerung an einen tollen Moment, manchmal passt es auch einfach grundlos. Für andere Support, Beschallen ebenso imaginär zuhörender Freunde, oder einfach nur geposteter Bullshit. Und warum auch nicht Mitmenschen mit furzenden und hicksenden Katzen zum Lachen bringen?

Was mich im Umkehrschluss zu den „Intellektuellen“ führt. Diese sind meist damit beschäftigt, Zeitungsartikel zu teilen (besonders beliebt: Politik) oder Zitate, die nur auserwählte verstehen können. Wenn sie denn mal kommentieren, dann meist auf einem solchen Niveau, dass einem erst mal die Spucke wegbleibt und man für eine Antwort in eine einstündige Trance verfallen muss. Letztendlich ist das natürlich ebenso eine Selbstbeweihräucherung wie die des Mädchens, das täglich ein neues Bild von sich uploaden muss, um Zuspruch zu bekommen, wie gut es aussieht (Im „Tribute to the stars on Facebook“ der The Altoids Curiously Strong Awards läuft sie unter „Princess Snapshot“). Es ist aber auch ein Teufelskreis - durch Bestätigung anderer wird man nun mal bestätigt, also warum damit aufhören? Dass ein geringes Selbstwertgefühl in solchen Fällen mit reinspielt, der Drang nach Aufmerksamkeit, wird verdrängt oder erst gar nicht wahrgenommen – ist allerdings von Studien belegt.

Wie die F.A.Z. schreibt, „das Bedürfnis nach ständiger, aber unauffälliger, konfliktarmer Abgleichung des eigenen Urteils und Selbstbildes mit anderen“, hofft ein jeder, der etwas postet, dass es gefällt. Was heißen soll, dass MAN gefällt. Von lediglichem Informationsaustausch kann in keinem Fall die Rede sein, die Erwartungshaltung ist immer Aktion gleich Reaktion. Nun kann aber doch keiner behaupten, das virtuell erstellte Selbstbild wäre das wirkliche uns eigene. Jeder projiziert eben die Facetten nach Außen, wie er sie gern hätte, dass sie wahrgenommen werden. Man stelle sich das Szenario vor, wenn dem nicht so wäre! Man läuft über die Straße, denkt sich nichts böses, sieht einen entfernt Bekannten, der stupst einen fröhlich an und erzählt erst mal was es zu essen gab, dass Frauen scheiße sind und beendet mit einem Mark Twain-Zitat?!

Ein jeder sollte sich dessen bewusst sein, ob er nun postet oder nicht (denn auch das ist ein Typus: die [Ent-]Haltung, die liken dann gerne hinterfotzig aus dem Nichts): Es handelt sich bei „Facebook“ um eine Metaebene, um ein konstruiertes Hologramm dessen, was sich darunter befindet. Wenn man an den Menschen dahinter ran will, sollte man das fernab medialer Selbstinszenierung versuchen.