Wie im Kino. Auf dem Sofa.


Bild: daserste.de


Gestern wurde ich Zeugin von Fernsehgeschichte. Nun, so drastisch wird es wohl kaum jemand bezeichnen, aber wer gestern noch Willens war, sich jenseits der Prime-Time und des Tatorts Sherlock Holmes  anzusehen, dem wird nicht entgangen sein, dass hier etwas Besonderes geschieht. Beverly Hills, Melrose Place, Friends, das war gestern. David Lynch’s Twin Peaks mag ein Vorreiter gewesen sein, und ob der idiosynkratischen Lynchschen Inszenierungsweise einigen vielleicht sogar etwas zu speziell – doch lässt sich nicht leugnen, dass „unkonventionelle“ Erzählmuster von der Kinoleinwand nun endlich den heimischen Fernsehbildschirm erobern.

Wie einst in SAW verfolgten gebannte Zuschauer gestern am Bildschirm, wie sowohl Sherlock als auch seinen Erzfeind Moriarty blutend niedersackten, oder vielmehr fielen, und ... starben. Oder etwa nicht? Natürlich nicht. Denn das Strickmuster der Serie ist analog zu Sherlocks scharfsinnigem Verstand: er weiß immer mehr, als dem Zuschauer verraten wird. Holmes ist jedem, und nicht zuletzt uns, immer einen Schritt voraus – und Inhalt und Form kohärieren für ein TV-Format geradezu unfassbar perfekt.

Einerseits ist dieses Phänomen kongenial unsere immer anspruchsvoller werdenden Sehgewohnheiten betreffend – und dennoch auch ebenso überraschend. Überraschend vielleicht daher, dass man kaum glauben mag, seinen Augen kaum traut, etwas tatsächlich hochkarätiges zu sehen ob der allseits verbreiteten Reality- und sog. "Hartz IV-TV"- Produktionen. Dabei deuteten die Entwicklungen jüngster Zeit schon in diese Richtung: Während Formate wie Grey’s Anatomy oder ähnliches noch relativ konventionell erzählt werden, ist die Rahmengeschichte bei How I met your mother schon ungewöhnlich. Während man über lange Strecken der Serie hin dazu neigt zu vergessen, dass es sich nicht nur um ein Voice-Over Teds handelt, sondern er seinen Kindern acht Staffeln lang erzählt, wie er ihre Mutter kennengelernt hat, stellt sich diese Erzählweise in einigen Folgen überraschend wieder explizit heraus. Indem er sich berichtigt, beispielsweise, oder von einer Party mit einer Ziege erzählt, die am Ende dann doch eine andere war. Das Gedächtnis trügt – und wir fallen auf einen unzuverlässigen Erzähler herein, wie er sonst nur im Kino seine großen Auftritte hatte.

Auch thematisch ist dieser Paradigmenwechsel spürbar: Dexter und Heisenberg aus Breaking Bad, eigentliche Opfer, werden zu legitimierten, ethisch vertretbaren Tätern. Anstatt einem Serienkiller auf den Fersen zu sein, hoffen wir nun, er kommt davon. Und in True Blood können Vampire zwar nicht wie Blade tagsüber herumspazieren, doch sie sind Teil einer politischen Bewegung und fast überall auch anerkannter Teil der Gesellschaft. Eine interessante Entwicklung, bedenkt man Murnaus Nosferatu vor rund 100 Jahren und die bittere Süße einer Twilight-Romanze – vom isolierten Vampir in Interview mit einem Vampir ganz zu schweigen. Plus: Neuerdings macht Vampirblut geil.

Was die neue Art zu erzählen im Fernsehen angeht, gilt auch hier: Wer Blut leckt, will mehr. Es bleibt zu hoffen, dass dies keine kurzfristige Zeitgeist-Erscheinung ist und Produzenten sowie Drehbuchschreiber uns, ganz wie Sherlock, einen kleinen Schritt vorausbleiben.