München, Deine Straßen

Ich zog aus, die Welt zu erobern, und du zogst nur an meinem Herz und riefst mich immer wieder zurück zu dir. Und jedes Mal wenn ich wiederkehrte, machte mein Herz einen kleinen Hüpfer, du hießest mich willkommen. Ach mein München, deine Straßen.

Jede deiner Ecken scheint vertraut. Gabelsberger Ecke Augusten, wo ich sechs Jahre lebte, mich durch Studium und Selbstreflexionen und Herzschmerz kämpfte. Schleißheimer Ecke Hohenzollern, wie viele Sonnenstunden verbrachte ich hier, wie oft wurde ich von unfähigen Kraulern an die Ecke des Beckens gedrängt. Görres Ecke Augusten, ein halbes Jahr mit einem Freund, mit dem es nie gepasst hätte. Schelling Ecke Ludwig, dieser hässliche 70er Jahre-Bau, meine erste Berührung mit Film-Proseminaren, Doktoranden, in die ich mich verrannte, Freundinnen, die meine Wege kreuzten und blieben, das Herzklopfen bei den mündlichen. Zentner Ecke Agnes, das Institut, das mich Kunst und Film noch mehr lieben lernte, die Bibliothek, in der ich unzählige Stunden verbrachte, Lynch und Surrealismus studierte, selbst der Surrealität verfiel. Maximiliansplatz Ecke Max-Joseph so endlos viele durchzechte Nächte voll geklauten Drinks im Namen des Guten. Sonnen Ecke Schwanthaler, nochmal Maximiliansplatz, Friedenstraße, Kesselhaus und Backstage und WanndaZirkus am Leonrodplatz – mit Berlin fing es an, doch hier hatte ich wundervolle Tage und Nächte sonnenbrillenbeschienen bassgetränkt, ins Pimpernel auf ein Bier, auf mehr Bier in das Hackerzelt, das Parkcafé, Max-Emmanuel. Ein Stück Zahn verloren beim Fall über die Tramschienen der Linie 27 auf der Ottostraße.
Der unglaubliche Ausblick  auf die Alpen vom Vorhözer auf der TU, der kalte wässrige Hugo für zwölf Euro auf der Terrasse des Bayerischen Hofs mit der Michael-Jackson-Gedenkstätte davor, wie ich über eine Schleppe einer blöden Möchtegernprominenz stolperte auf dem Filmball darin. Auf Gras kuscheln im Englischen Garten, kaleidoskopische Wolken im Nymphenburger Park, Slalom im Entenmarsch die Gabelsberger nach Hause nach einem Abend auf bunten Strohballen. Bunte Stäbe des Brandhorst, sprechende Farben und Formen im Kunstbau, Rubens und Kiefer in der alten Pinakothek, Wasserschaden in der modernen. Erstes Praktikum Bruderstraße, nicht wissen wohin als nächstes in der Rheinstraße, Grillen am Flaucher, 50 Meter im Olympia, arbeitendes Rumhängen in der Thalkirchner. Sommerlaue Vorabende mit Weißwein vor Vorstellungen im Innenhof des City, fröstelndschweigendes Schweigen nach Black Swan, stille Kontemplation nach Tree of Life, hellaufe Begeisterung nach Wolf of Wallstreet, Prüfungsvorbereitung mit Django, kauerschlafende Nachmittagsvorstellungen beim ersten Mal richtig Filmfest, das Leben, eine Filmreflexion.
Deine Plätze – der Odeonsplatz, der Max-Josephs-Platz, der Königsplatz, Marienplatz, Viktualienmarkt acht Uhr morgens, von einer Schönheit, Symmetrie, Geschichte, Leben, die andere im Neid fahl erblassen lässt. Du bist so herrlich unkompliziert mit deinen Radwegen und deiner großstädtischen Kleinstädtigkeit, mir ist danach, jedes Straßenschild, jede Ecke, jede Erinnerung in zu umarmen und ich freue mich, dass du bist und ich hier bin und endlich bin ich angekommen.

Manchmal muss man eben erst mal weg, um zu wissen, wo man eigentlich hin gehört. Ich bin überall auf der Welt zuhause. Aber nirgends so sehr wie hier.

The Revenant

© 20th Century Fox


Westernfime, das sind Mythen amerikanischer Besiedelung. Das sind romantisierte Helden, die im Wilden Westen für Ordnung sorgen. Das sind Showdowns, Hitze, Saloons, 12 Uhr mittags. Das sind meist Filme, die zu einer Zeit spielen, in der der Westen schon gar nicht mehr so sehr wild ist (oder nur in seiner Gesetzlosigkeit), eine Zeit, in der Eisenbahnschienen das Land bereits durchziehen und Postkutschen überfallen werden.
Eigentlich.

Nicht so in Alejandro G. Iñarritus The Revenant – Der Rückkehrer, der zu einer Zeit angesiedelt ist, als ein weiter Teil Amerikas noch nicht erschlossen war und die Frontier das östliche, von Immigranten besiedelte vom westlichen Gebiet trennte, in das die Ureinwohner in den folgenden Jahrzehnten immer weiter zurück gedrängt werden sollten. Dieses Gebiet jenseits der Frontier lockte nun zahlreiche Abenteuer- und Entdeckungslustige, nicht zuletzt mit dem Ruf von unbegrenzten Möglichkeiten.

Die Erschließung des Grenzgebiets wurde Herd zahlreicher Mythen, die sich um Freiheit und Überlebenswille in der Wildnis rankten. Zu einem solchen Mythos wurde auch die Geschichte um Hugh Glass, einem Trapper der Rocky Mountain Fur Company, der um 1825 den Angriff eines Grizzlybären schwer verletzt überlebte und daraufhin von seinen Kumpanen Jim Bridger (später erfolgreicher Trapper, Scout und Geschichtenerzähler) und John Fitzgerald zum Sterben zurück gelassen wurde. Der Legende nach überwand er, von Rache angetrieben, 300 Kilometer in sechs Wochen zu Fuß und per Floß und verschonte die Übeltäter letztlich doch, da sie zu jung bzw. der Army beigetreten waren.

Nachdem die Geschichte als  Man in the Wilderness 1971 schon einmal verfilmt und 2003 in Michael Punkes Roman The Revenant: A Novel of Revenge wiederaufgegriffen wurde, dient sie nun als Vorlage für Iñarritus Prä-Western mit Leonardo DiCaprio als Hugh Glass. Ihm gelang dabei ein komplexes Werk über Männlichkeit, Stärke und Wille, das besagtem Frontier-Mythos ein stückweit aufsitzt, sich ihm in letzter Konsequenz aber dennoch entzieht. Glass ist hier ein schon vor dem Bärenangriff halb gebrochener Mann, dessen Frau, eine Ureinwohnerin des Stammes Pawnee, bei einem Angriff auf ihr Lager getötet wurde. Ihren gemeinsamer Sohn Hawk (Forrest Goodluck), von Brandnarben damaliger Ereignisse gezeichnet, rettete er, indem er einen amerikanischen Offizier erschoss. Als divergente Figur zwischen den Grenzen, als „Verräter“ wird er von den Trappern dennoch geschätzt und gebraucht ob seiner Kenntnisse der Rocky Mountains.

Als er, vom Angriff des Bären nun auch körperlich beinah zerrissen auf seiner Bahre vermeintlich im Sterben liegt, entschließt der Führer Henry (Domhnall Gleeson) ihn mit Hawk, Fitzgerald (Tom Hardy) und Jim Bridger (Will Poulter) zurückzulassen in der Erwartung, dass diese Glass anständig begraben. Fitzgerald aber tötet Hawk und bringt Bridger mit einer Lüge dazu, weiter zu ziehen und Glass dem Tod zu überlassen. Den Mord an seinem Sohn beobachtet Glass bewegungs- und sprachunfähig: das gepresste Atmen der zerfetzten Luftröhre, die Grimasse DiCaprios, das aus seinem Mund geifernde Blut findet hier einen von vielen kleinen Höhepunkten.

„So lange du atmen kannst kämpfst du. Und du atmest weiter.“ hörten wir Glass früher zu seinem Sohn sagen und so kriecht, robbt, stapft, kämpft, atmet Glass rasselnd weiter um sein Leben, um seine Rache. Er trotzt der klirrenden Kälte, angreifenden Indianern, überlebt einen Sturz, wird stromabwärts mitgerissen - das eiskalte Überleben. Er ist ein kleiner Mensch, der sich, immer wieder mit grandiosen Landschaftsaufnahmen gezeigt, durch die Weiten der Natur schlägt. Überhaupt erscheint die Natur, hier vor allem als wiederkehrendes Symbol der Baum, fast schon transzendental. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt Emmanuel Lubezkis Kameraführung, die stark an die ebenso von ihm umgesetzte poetisch-essayistische Bildsprache aus Terrence Malick’s The Tree of Life, To the Wonder und The Knight of Cups erinnert. Immer wieder schwenkt die Kamera zu den Baumwipfeln hinauf, tanzt sie beinahe um die Protagonisten herum, bringt etwas Lockerheit in das sonst so schwere, stellenweise langatmige Epos.
Dem kühlen Farbgeflecht aus Grau, Blau, Schnee und Blut gegenüber stehen surreale Einschübe von Glass’ Erinnerungen und Träumen. Aufgetürmte Knochen, das Feuer im Lager, blutige Hände. Seine tote Frau, im Wasser liegend. Seine Frau über ihm schwebend. In einer zerfallenen Kirche trifft er seinen Sohn wieder, umarmt ihn, und Hawk wird – wie könnte es anders sein – zu einem Baum.

„Wenn ein Sturm aufzieht und du siehst einen Baum an, Wenn du die Äste betrachtest, denkst du, dass sie jeden Moment abbrechen könnten. Aber wenn du den Stamm ansiehst, siehst du wie stabil er ist“, ein im Voice-Over immer wiederkehrendes, fast schon mantrisches Zitat seiner Frau, weist über die Natur hinaus auf den Mann selbst: bleibe beständig in Zeiten des Aufruhrs. Seine Zähigkeit und, man könnte sagen, Naturverbundenheit, hat Glass, und hier fühlt man sich erinnert an Dances with Wolves (Kevin Costner, 1990), von Indianern, den „Wilden“ des Westens, verinnerlicht. Automatisch wird dem Betrachter gewahr, dass nicht die Menschen, die schon immer in der Wildnis lebten, die Wilden sind, sondern diejenigen, die Land und Tiere an sich rissen und Einwohner töteten. Eben hierin liegt auch, nicht ohne Ironie, der Triumph dieser Geschichte über ihre verklärte Vorgängerversion: Das Überleben des weißen Mannes in der Wildnis und seine Stärke liegen eben nicht begründet im Mythos des heroischen weißen Mannes, der sich das Land unterwirft.  

Es ist eine geradlinige und rohe Geschichte, die Iñarritu da erzählt: Die Geschichte eines Mannes, der von den Toten zurückkehrt, um seinen Sohn und sich selbst zu rächen. Die Überwindung der Weite des Landes und der ihr innewohnenden Gefahren kann auch gelesen werden als innere Reise und Selbstüberwindung: Am Ende ist es nämlich nicht Rache, sondern Erkenntnis, die er findet. Denn Rache, so versteht er, liegt in der Hand des Schöpfers. Und so überlasst er Fitzgeralds Schicksal nach einem Showdown (den gibt es, wie im klassischen Western nämlich auch, wenn er auch nicht ganz so klassisch ausfällt) dem Strom, der ihn seinem Schicksal entgegenträgt.

Trotz der manchmal beinah schon zu großen Nähe der Kamera, trotz ungeschöntem Vermengen von Blut, Rotz, Haar und Schnee bleibt The Revenant über lange Strecken ein Werk, zu dem man nur schwer Nähe gewinnt. Das mag an seiner kühlen Tonalität liegen, an seinem Ausspielen männlicher Konnotationen, oder an einer Hauptfigur, deren Leiden man zwar aus der Distanz beobachtet, aber nur wenig mitleidet.
Am Ende jedoch geschieht etwas, das mit alledem bricht: Glass blickt, kniend im Schnee, zuerst auf seine Frau, die ihm erscheint. Und dann blickt er in die Kamera, sieht uns direkt an. Es ist der Blick eines Mannes, der durch die Hölle ging und wieder zurück, ein Blick, in dem sich all das Leiden, all der Schmerz eines Mannes konzentriert. Die Distanz hebt sich auf.



The Hateful 8

© Universum Film 



Schon die erste Sequenz Tarantinos’ neuesten Streichs The Hateful 8 kommt daher als Fortführung von – dem vielleicht, frei nach Leone, wer weiß? ersten Teil einer, noch unvollendeten, Amerika-Trilogie – Django Unchained: Die karge Landschaft und Hitze Texas’ weichen  den verschneiten Weiten Wyomings, die langsam mit Fußfesseln aneinander gebundenen marschierenden Sklaven einer von sechs galoppierenden Pferden gezogenen Kutsche. Auch das Figureninventar bleibt, erst mal, ähnlich. Schultz wird zu John „The Hangman“ Ruth (Kurt Russel), der befreite Django mausert sich zum Major Marquis „The Bountyhunter“ Warren, gespielt von Samuel L. Jackson.
Mitten im verschneiten Nirgendwo des amerikanischen Nordens hält Warren also besagte Kutsche an, in der Ruth die wegen Mordes gesuchte, mit Veilchen gezierte Daisy Domergue (herrlich anzusehen: Jennifer Jason Leigh) an seinen Arm gekettet hält, um sie gegen Kopfgeld dem Henker und Galgen von Red Rock zu überlassen. Unterwegs treffen sie auf Chris Mannix (Walton Goggins), der von sich behauptet, der neue Sherriff von Red Rock zu sein und sich so einen Platz in der Kutsche sichern kann. Schutz vor einem näher rückenden Schneesturm suchend, steigt die Gruppe in Minnie’s Haberdashery ab, wo sie jedoch unerwarteterweise schon auf  andere Gäste treffen: Oswaldo Mobrey, der, wie sich raustellt, der Henker von Red Rock ist, verkörpert von Tim Roth in nur allzu Waltz’scher Manier, Joe Gage (Michael Madsen), ein Viehtreiber auf dem Weg nach Hause zu Mami und den altgedienten General Sandy Smithers (Bruce Dern). Außerdem sind Minnie selbst und ihr Mann Sweet Dave verreist und sie überlassen ihre schummrige Bar-Absteige, in der wir uns nun die folgenden zwei Stunden bewegen, dem Mexikaner Bob (Demián Bichir).

Es wäre kein Tarantino, wenn nicht klar wäre, dass irgendwas nicht stimmt und der erste Schuss bald fallen wird – doch der Film lässt sich lange Zeit damit. Tarantinos Erzählmuster sind meist so arrangiert, dass Mächte und Konflikte aufeinandertreffen. Es werden Spannungsfelder kreiert, die aufeinander treffen wie tektonische Platten, um sich dann eruptiv in Gewalt zu entladen. Sorgsam über Dialoge vorbereitet entstehen unausweichliche Mexican Standoffs  wie in Reservoir Dogs, oder in der Tavernenszene bei Inglorious Basterds. Oder eben hier in Minnie’s Haberdashery, wo irgendwann jeder die Pistole auf jeden hält. Es heißt schwarz gegen weiß, Norden gegen Süden, „gut“ gegen „böse“ – wobei bei Tarantinos Figuren eher von „guten Bösen“ und „bösen Bösen“ die Rede sein kann. Wie bereits in Pulp Fiction und Reservoir Dogs am Beispiel des Ganoven und des Killers wird hier der Kopfgeldjäger (und natürlich seine Motivation, nämlich Geld), der Gangster des Wilden Westens sozusagen, in den Mittelpunkt und ihm gegenüber noch bösere böse Figuren gestellt, deren wahre Identitäten sich erst in der Zuspitzung der Ereignisse eröffnen.
Die Gewalt erbricht hier ganz unvermittelt auf der Leinwand, kehrt zu gewissem Maße zu Pulp Fiction zurück, überschlägt sich in Überraschungsmomenten, jedoch: kein „Wegsehen“ der Kamera, keine Beschönigung, keine Choreografie – es sei denn, man mag in Blut kotzenden, umherkriechenden Hillbillys eine erkennen. Wo in Django das Blut noch so schön auf die Baumwollblüten spritzte, scheint Tarantino in Hau-drauf-Mentalität so richtig beim B-Movie-Italowestern angekommen und bringt stattdessen noch mehr Blut, immer mehr Blut in Domergues Visage, Chaos, Splatter! Das Zitat Godards „Das ist kein Blut, das ist rote Farbe“ wird, gemessen an der Länge des Films leider viel zu kurz, aber frenetisch zelebriert.

Nun könnten wieder einige Stimmen laut werden, wo bleibt hier die Moral? Denn auch der einzige „Gute“, Sherriff Mannix, schließt sich am Ende den „guten Bösen“ an und hängt Demorgue, das hinterlistige Weib, unter satanischem Gelächter auf, wie es für sie vorgesehen war (Der Name Domergue übrigens in Anlehnung an Faith Domergue, die in den 50ern in einigen Western spielte). Jedoch arbeitet Tarantino sich mit Hateful 8, der kurz nach den Sezessionskriegen angesiedelt ist, wie zuvor schon in Django Unchained an der Unterdrückung und Versklavung der Schwarzen und somit an einem dunklen Kapitel der amerikanischen Geschichte ab. Da bekommen die Yankees ebenso ihr Fett weg wie auch Warren, bezeichnenderweise benannt nach dem ersten Governeur Wyomings, der als Schwarzer „auf Mission“ auch Kollateralschäden auf seiner Seite in Kauf nimmt. Wie Marsellus Wallace einst wird auch er gestraft mit Entmannung – fast hat man das Gefühl, Tarantino versucht seit dem Tod Hitlers in Inglorious Basterds die Weltordnung in seinen Filmwelten gerade zu rücken. Gerade der Western lebt ja davon, dass Ordnung durch Gewalt wieder hergestellt wird – nur sind es im klassischen Western die ehrenhaften Cowboys und Sherriffs, die dafür eintreten. So könnte man auch behaupten, Tarantino hat mit Django und Hatetful 8 zwei Anti-Western geschaffen, die die historische „Lüge“ hinter den klassischen Western aufdecken.

Tarantino tut, was er eben am besten kann – deswegen ist The Hateful 8 aber nicht der beste Tarantino. Natürlich bedient er sich seiner eigenen lang bewährten Muster wie dem bereits beschriebenen Aufeinandertreffen mehrerer sich argwöhnisch belauernden Parteien, langen Dialogen, achronologischem Erzählen, dem plötzlichen Ausbrechen von Gewalt, dem Schauwert des Blutes. Natürlich wird ein Tarantino-Baukastenprinzip evident, das, einmal durchschaut, den Genuss seiner Filme manchmal etwas schmälert. The Hateful 8 hätte noch mehr Witz vertragen können, Leichtigkeit, Virtuosität und vor allem: Musik. Erstmals ließ Tarantino die Filmmusik komplett komponieren, von Ennio Morricone, der seinerzeit schon für Sergio Leonie schrieb. Der Soundtrack kommt auch großartig niederträchtig schleichend daher, an manchen Stellen ist er vielleicht sogar etwas zu präsent. Doch hätte ich mir wieder eine Perle aus Tarantinos unglaublichem Repertoire gewünscht, eine dieser wunderbar harmonischen Dissonanzen, die Bild und Ton kollidieren lassen und seine Filme in vielen Momenten so rund machen.



#kannstdulesenoderauchnicht

Wir sind eine Generation begrenzt von Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, die die Grenzen vor allen Dingen in sich selbst findet, sich selbst auferlegt. Wofür stehen wir, wofür haben wir zu kämpfen, außer für unseren Selbstdarstellungsdrang, mehr Follower, ein cooleres Leben, nach Außen hin? Für nichts. Weltpolitik betrifft uns persönlich nicht, und da schließe ich mich nicht aus, Musik und Bewegung ist nur als solche zu verstehen, wochenendlicher Ausbruch aus unserem perfiden, banalen, unbedeutenden Leben. Alles was es gibt, ist schon dagewesen, wir reflektieren nur was es schon gab, wir reproduzieren nur Gedanken, die nicht neu sind.

Wir stehen für eine Freiheit, die nur das private betrifft, wir fühlen uns selbst unfrei, aber nur, weil es keine größere Unfreiheit gibt. Wir stehen für nichts, leben für alles, wissen nicht wohin mit uns, wissen höchstens, was wir auf den nächsten Rave anziehen, denn come as you are ist Blut auf Schnee von gestern, und eine ebenso oberflächliche Aussage, wie unser neuester Instagram-Post. Wir sind, was wir erschaffen, „Life is not about finding yourself, it is about creating yourself“, doch geht es dabei nur um das oberflächliche Ansehen unserer Selbst, Selfie-Grinsen in die Kamera, 30 Likes später gehen wir zufrieden ins Bett, am Wochenende stecken wir uns Blumen ins Haar, doch wofür, das wissen wir selbst nicht so genau.

Wir sind eine Generation gefangen zwischen Generationen, gefangen in der Digitalität, gefangen in iPhones und zwischen Likes und Spiegeln, aufgesetzter Philosophie, aufgesetztem Selbst. Es gefällt, was massentauglich ist, was dem Gros des Internets zusagt, wir sind schnurrende kleine Kätzchen, sich berauscht kauernd in Techno-Bunkern, aber nur weil wir sonst nicht wissen wohin mit uns. Und wenn wir es wissen, ist vermeintliche Freiheit nur ein Fake, Perlen vor die Säue, eigentlich interessiert sowieso niemanden, was du kannst, sondern nur, wen du kennst. Und ob du eine Meinung hast, zählt heutzutage nicht mehr, es sei denn, deine Meinung schreibt schwarze Zahlen.

Wir feiern die Freiheit, feiern uns selbst ob unserer unheimlichen Gelassenheit, coolen Outfits, gutem Musikgeschmack und Humors, der uns ja permanent und repetitiv bestätigt wird, doch sind wir dabei nur ein Abziehbildchen unserer Selbst... Authentizität? Ging verloren irgendwo zwischen Marusha und Bonnie Strange. Wir sind Social Media, wir sind Generation Praktikum, wir sind Generation Backpacker, wir sind Generation uns-stehen-alle-Türen-offen-aber-wir-finden-den-verfickten-Schlüssel-nicht, wir sind Grumpy Cat wenn keiner hinschaut und breites Grinsen für alle die es sehen wollen, wir sind ihr – und nicht wir. Wir sind ein jeder semi-populär aufgrund der Reichweite unserer täglichen Posts, und doch sind wir eigentlich niemand, in einer Zeit, in der jeden alles und nichts interessiert, wir haben uns geeinigt auf Pandas, Katzen und Einhörner, darauf, dass bunt nun Alle Farben heißt, und Konformität nun Individualität bedeutet.

Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir lieber on- statt offline leben, alles teilen, was positiv ist, alles Negative, wenn überhaupt, mit uns selbst austragen, wir haben uns darauf geeinigt, dass uns allen gefällt, was wir tun, und dass uns gefällt, oberflächlich zu sein,  nicht ohne Selbstironie, versteht sich, denn wir suchen die Aufmerksamkeit, doch brauchen wir sie nicht – alles kann, nichts muss. Ja, wir können alles, aber wir müssen nichts, und das soll die Welt ruhig mitbekommen. Die Welt, das sagte schon McLuhan, ist ein Dorf, und immer enger wird es, immer mehr die Medien zur extension of man, und so machen wir uns selbst zum Dorftrottel, stellen uns auf Podeste und Scheiterhaufen, werfen kichernd ein Streichholz ins Stroh und freuen uns über jeden Schaulustigen, der gerade ebenso wenig Auftrag hat wie wir selbst.