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© 20th Century Fox |
Westernfime,
das sind Mythen amerikanischer Besiedelung. Das sind romantisierte Helden, die
im Wilden Westen für Ordnung sorgen. Das sind Showdowns, Hitze, Saloons, 12 Uhr
mittags. Das sind meist Filme, die zu einer Zeit spielen, in der der Westen
schon gar nicht mehr so sehr wild ist (oder nur in seiner Gesetzlosigkeit),
eine Zeit, in der Eisenbahnschienen das Land bereits durchziehen und
Postkutschen überfallen werden.
Eigentlich.
Nicht
so in Alejandro G. Iñarritus The Revenant
– Der Rückkehrer, der zu einer Zeit angesiedelt ist, als ein weiter Teil
Amerikas noch nicht erschlossen war und die Frontier
das östliche, von Immigranten besiedelte vom westlichen Gebiet trennte, in das
die Ureinwohner in den folgenden Jahrzehnten immer weiter zurück gedrängt
werden sollten. Dieses Gebiet jenseits der Frontier
lockte nun zahlreiche Abenteuer- und Entdeckungslustige, nicht zuletzt mit dem
Ruf von unbegrenzten Möglichkeiten.
Die
Erschließung des Grenzgebiets wurde Herd zahlreicher Mythen, die sich um
Freiheit und Überlebenswille in der Wildnis rankten. Zu einem solchen Mythos
wurde auch die Geschichte um Hugh Glass, einem Trapper der Rocky Mountain Fur
Company, der um 1825 den Angriff eines Grizzlybären schwer verletzt überlebte
und daraufhin von seinen Kumpanen Jim Bridger (später erfolgreicher Trapper,
Scout und Geschichtenerzähler) und John Fitzgerald zum Sterben zurück gelassen
wurde. Der Legende nach überwand er, von Rache angetrieben, 300 Kilometer in
sechs Wochen zu Fuß und per Floß und verschonte die Übeltäter letztlich doch,
da sie zu jung bzw. der Army beigetreten waren.
Nachdem
die Geschichte als Man in the Wilderness 1971 schon einmal verfilmt und 2003 in
Michael Punkes Roman The Revenant: A
Novel of Revenge wiederaufgegriffen wurde, dient sie nun als Vorlage für
Iñarritus Prä-Western mit Leonardo DiCaprio als Hugh Glass. Ihm gelang dabei
ein komplexes Werk über Männlichkeit, Stärke und Wille, das besagtem Frontier-Mythos ein stückweit aufsitzt,
sich ihm in letzter Konsequenz aber dennoch entzieht. Glass ist hier ein schon
vor dem Bärenangriff halb gebrochener Mann, dessen Frau, eine Ureinwohnerin des
Stammes Pawnee, bei einem Angriff auf ihr Lager getötet wurde. Ihren
gemeinsamer Sohn Hawk (Forrest Goodluck), von Brandnarben damaliger Ereignisse
gezeichnet, rettete er, indem er einen amerikanischen Offizier erschoss. Als
divergente Figur zwischen den Grenzen, als „Verräter“ wird er von den Trappern
dennoch geschätzt und gebraucht ob seiner Kenntnisse der Rocky Mountains.
Als
er, vom Angriff des Bären nun auch körperlich beinah zerrissen auf seiner Bahre
vermeintlich im Sterben liegt, entschließt der Führer Henry (Domhnall Gleeson)
ihn mit Hawk, Fitzgerald (Tom Hardy) und Jim Bridger (Will Poulter)
zurückzulassen in der Erwartung, dass diese Glass anständig begraben.
Fitzgerald aber tötet Hawk und bringt Bridger mit einer Lüge dazu, weiter zu
ziehen und Glass dem Tod zu überlassen. Den Mord an seinem Sohn beobachtet
Glass bewegungs- und sprachunfähig: das gepresste Atmen der zerfetzten Luftröhre,
die Grimasse DiCaprios, das aus seinem Mund geifernde Blut findet hier einen
von vielen kleinen Höhepunkten.
„So
lange du atmen kannst kämpfst du. Und du atmest weiter.“ hörten wir Glass
früher zu seinem Sohn sagen und so kriecht, robbt, stapft, kämpft, atmet Glass
rasselnd weiter um sein Leben, um seine Rache. Er trotzt der klirrenden Kälte,
angreifenden Indianern, überlebt einen Sturz, wird stromabwärts mitgerissen -
das eiskalte Überleben. Er ist ein kleiner Mensch, der sich, immer wieder mit
grandiosen Landschaftsaufnahmen gezeigt, durch die Weiten der Natur schlägt.
Überhaupt erscheint die Natur, hier vor allem als wiederkehrendes Symbol der
Baum, fast schon transzendental. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt Emmanuel
Lubezkis Kameraführung, die stark an die ebenso von ihm umgesetzte
poetisch-essayistische Bildsprache aus Terrence Malick’s The Tree of Life, To the Wonder und The Knight of Cups erinnert. Immer wieder schwenkt die Kamera zu
den Baumwipfeln hinauf, tanzt sie beinahe um die Protagonisten herum, bringt
etwas Lockerheit in das sonst so schwere, stellenweise langatmige Epos.
Dem
kühlen Farbgeflecht aus Grau, Blau, Schnee und Blut gegenüber stehen surreale
Einschübe von Glass’ Erinnerungen und Träumen. Aufgetürmte Knochen, das Feuer
im Lager, blutige Hände. Seine tote Frau, im Wasser liegend. Seine Frau über
ihm schwebend. In einer zerfallenen Kirche trifft er seinen Sohn wieder, umarmt
ihn, und Hawk wird – wie könnte es anders sein – zu einem Baum.
„Wenn
ein Sturm aufzieht und du siehst einen Baum an, Wenn du die Äste betrachtest,
denkst du, dass sie jeden Moment abbrechen könnten. Aber wenn du den Stamm
ansiehst, siehst du wie stabil er ist“, ein im Voice-Over immer
wiederkehrendes, fast schon mantrisches Zitat seiner Frau, weist über die Natur
hinaus auf den Mann selbst: bleibe beständig in Zeiten des Aufruhrs. Seine
Zähigkeit und, man könnte sagen, Naturverbundenheit, hat Glass, und hier fühlt
man sich erinnert an Dances with Wolves
(Kevin Costner, 1990), von Indianern, den „Wilden“ des Westens, verinnerlicht.
Automatisch wird dem Betrachter gewahr, dass nicht die Menschen, die schon
immer in der Wildnis lebten, die Wilden sind, sondern diejenigen, die Land und
Tiere an sich rissen und Einwohner töteten. Eben hierin liegt auch, nicht ohne
Ironie, der Triumph dieser Geschichte über ihre verklärte Vorgängerversion: Das
Überleben des weißen Mannes in der Wildnis und seine Stärke liegen eben nicht
begründet im Mythos des heroischen weißen Mannes, der sich das Land unterwirft.
Es
ist eine geradlinige und rohe Geschichte, die Iñarritu da erzählt: Die
Geschichte eines Mannes, der von den Toten zurückkehrt, um seinen Sohn und sich
selbst zu rächen. Die Überwindung der Weite des Landes und der ihr
innewohnenden Gefahren kann auch gelesen werden als innere Reise und
Selbstüberwindung: Am Ende ist es nämlich nicht Rache, sondern Erkenntnis, die
er findet. Denn Rache, so versteht er, liegt in der Hand des Schöpfers. Und so überlasst
er Fitzgeralds Schicksal nach einem Showdown (den gibt es, wie im klassischen
Western nämlich auch, wenn er auch nicht ganz so klassisch ausfällt) dem Strom,
der ihn seinem Schicksal entgegenträgt.
Trotz
der manchmal beinah schon zu großen Nähe der Kamera, trotz ungeschöntem
Vermengen von Blut, Rotz, Haar und Schnee bleibt The Revenant über lange Strecken ein Werk, zu dem man nur schwer
Nähe gewinnt. Das mag an seiner kühlen Tonalität liegen, an seinem Ausspielen
männlicher Konnotationen, oder an einer Hauptfigur, deren Leiden man zwar aus
der Distanz beobachtet, aber nur wenig mitleidet.
Am
Ende jedoch geschieht etwas, das mit alledem bricht: Glass blickt, kniend im
Schnee, zuerst auf seine Frau, die ihm erscheint. Und dann blickt er in die
Kamera, sieht uns direkt an. Es ist der Blick eines Mannes, der durch die Hölle
ging und wieder zurück, ein Blick, in dem sich all das Leiden, all der Schmerz
eines Mannes konzentriert. Die Distanz hebt sich auf.